„Was man nicht vor­lebt, das kann man nicht von an­de­ren ver­lan­gen“

Interview mit Walter Feucht

Walter Feucht ist als Führungskraft in drei unterschiedlichen Bereichen unterwegs: Im eigenen Unternehmen Uldo Backmittel GmbH, in der Musik mit seiner Pomp Duck and Circumstance GmbH und vielen Musik-Events sowie als 1. Vorsitzender der TSG Söflingen, einem Verein mit mehr als 5.000 Mitgliedern. Über diese drei unterschiedlichen Führungs-Welten spricht er mit Barbara Brandstetter und Achim Weiand.

Interviewserie: Führung: Wir reden mit.
September 2022

In­ter­view mit Wal­ter Feucht

Frage: Sie sind Führungskraft in drei Welten. Wo liegen Unterschiede und Gemeinsamkeiten?

Walter Feucht: Diese Welten sind zwar in ihren Funktionsweisen grundverschieden. Es ist aber unglaublich, wieviel sich gleicht, wenn man über Führung nachdenkt.

Frage:  Gibt es so etwas wie einen Kern von Führung über diese drei Welten hinweg?

Walter Feucht: Theoretische Führungs-Modelle habe ich immer abgelehnt, schon als ich meine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert habe. Ich glaube nicht, dass es Führungsmodelle gibt, die einem in der Praxis helfen. Als es für mich als Unternehmer mit der Uldo Backmittel GmbH losging, war mir von Anfang an klar: Es geht nur mit Menschen. Wenn Du als Führungskraft keine tiefe menschliche Empathie hast, wirst du keinen Erfolg haben. Und zwar gleich, welches Führungs-Modell du anwendest.

Frage:  Mitarbeiterführung heißt dann für Sie, den Mitarbeiter als Menschen zu sehen?

Walter Feucht: Als Führungskraft sollte man die Sorgen seiner Mitarbeiter kennen und für seine Angestellten immer eine offene Tür haben. Gleichzeitig muss einem als Führungspersönlichkeit auch klar sein, dass man nicht die Welt retten und immer für alle privaten Probleme eine Lösung finden kann. Wichtig ist als Führungskraft zudem, auch unangenehme Dinge offen anzusprechen.

Frage:  Gehört zu Führung aus Ihrer Sicht, dass Führungskräfte eine Vorbildfunktion haben?

Walter Feucht: Führungskräfte sollten eine Vorbildfunktion haben. Ich schildere Ihnen dazu ein Beispiel. Es gibt große Messen, auf denen wir als Unternehmen präsent sein müssen. Und dort beobachten wir auch unsere Wettbewerber und ihr Verhalten. Gegenüber unserem Stand war einer der weltweit größten Lebensmittelkonzerne. Am Freitag kam ein Verkaufs-Geschäftsführer, rief seine Truppe von 30 bis 40 Mitarbeitern zusammen und hielt eine tolle Rede. Dann aber verschwand er und tauchte erst am Montagmorgen wieder auf, obwohl die Messe überwiegend am Wochenende besucht wird. Das ist kein vorbildliches Verhalten einer Führungskraft.

Walter Feucht: Zu den Zeiten, als ich noch operativ tätig gewesen bin, war ich morgens der erste auf dem Stand und abends der letzte, der ging. Und das gab mir Reputation und Vertrauen bei meinen Mitarbeitern. Was man nicht vorlebt, das kann man nicht von anderen verlangen. Und gerade in einem mittelständischen Betrieb, wo jeder jeden kennt, ist das unerlässlich. Man kann die besten Produkte und die beste IT haben, aber irgendjemand muss das ja entwickeln und verkaufen – ohne gute Mitarbeiter ist das alles nichts wert. Und gerade von Mitarbeitern mit Potenzial, die man als Unternehmen dringend benötigt, wird das Verhalten der Führungskräfte sehr genau beobachtet.

Frage:  Hat das auch etwas mit Verantwortung zu tun?

Walter Feucht: Als Unternehmer und Führungskraft musst Du die große Gabe haben zu sagen, wenn alles gut läuft: „Jungs und Mädels, gut gemacht, toller Job. Ihr habt es richtig klasse gemacht und ich bin stolz auf euch.“ Und wenn es schlecht läuft, dann muss man sagen: „Mea culpa, das geht auf meine Kappe als Führungskraft.“

Frage:  Wo ist der Unterschied zwischen Inhabern und Managern?

Walter Feucht: Als Inhaber haftet man auch mit seinem Privatvermögen, als Manager nicht, das ist der große rechtliche Unterschied. Selbst wenn das Grundkapital und damit die Haftung bei der GmbH begrenzt ist, unterschreibst Du als Inhaber mit und Du haftest. Und weil ein angestellter Manager nicht mit seinem persönlichen Vermögen haftet, spekuliert er auch leichter mit dem Unternehmen als ein Inhaber, der mit seinem Privatvermögen haftet.

Frage:  Wie sieht Führung aus als gewählter 1. Vorsitzender der TSG Söflingen?

Walter Feucht: Bei der TSG Söflingen versuche ich, das Schiff gut und ideenreich zu steuern. Sollte ich als Vorstand des Vereins Mist bauen, dann würden mich die Vereinsmitglieder abwählen. Aber ich würde kaum in die Haftung genommen mit meinem Privatvermögen. Als Inhaber sieht das ganz anders aus.

Frage:  Gibt es neben dem rechtlichen Aspekt weitere Unterschiede?

Walter Feucht: Eigentlich sehe ich keinen großen Unterschied, was Führung betrifft. Dazu erzähle ich vielleicht die Geschichte meiner ersten Wahl zum Vorsitzenden. Als ich mich der Mitgliedschaft des Vereins zur Wahl gestellt habe, habe ich in aller Offenheit gesagt: „Die TSG Söflingen ist für mich ein Risiko und ich bin für Euch ein Risiko: Wir wissen beide nicht, was dabei herauskommt. Alle zwei Jahre sind Wahlen. Wenn Ihr also mit mir nicht einverstanden seid, dann könnt Ihr das in zwei Jahren ändern, aber ich kann es auch ändern, wenn ich mit Euch nicht einverstanden bin. Also probieren wir das mal gemeinsam.“ Und das hat jetzt 33 Jahre gehalten und funktioniert.

Frage:  Wie funktioniert Führung im Verein?

Walter Feucht: Bei einem so großen Vereinsgebilde wie der TSG Söflingen mit mehr als 5.000 Mitgliedern kann man nicht jeden Tag alle Mitglieder befragen oder mit ihnen reden. Die Mitglieder müssen mir als Vorsitzendem vertrauen. Zudem muss ich die unterschiedlichen Interessen kanalisieren und rausfiltern, was wichtig ist. Und letztendlich muss ich damit leben, dass nicht jede Entscheidung begrüßt wird. Denn der Vorstand muss irgendwann auch lange Diskussionen beenden und Entscheidungen treffen, die nicht jedem gefallen, aber die Mehrheit mitnehmen.

Frage:  Welche Rolle haben Sie als 1. Vorsitzender?

Walter Feucht: In der TSG Söflingen erwartet man von mir als 1. Vorstandsvorsitzendem, dass ich Ideen habe und dass ich Neues ausprobiere. Und dass ich quasi als Schneepflug agiere. Mit unserem Projekt „Sportopia“ bin ich lange schwanger gegangen. Mir war klar, dass sich die Gesellschaft verändert, Gesundheit und Rehabilitationssport immer wichtiger werden. Fast zehn Jahre habe ich mit meinen Vorstandskollegen, dem Verein und der Politik diskutiert.

Positiv ist, dass Führung in der TSG Söflingen sehr schlank aufgestellt ist. Wenn alles erarbeitet und beschlossen ist, dann braucht man einen kleinen Entscheidungskreis, der für die Umsetzung den Turbo anwirft und nicht den kleinen Außenbordmotor.

Frage:  Aber mit Gegenwind muss man schon umgehen können als Führungskraft?

Walter Feucht: Ich sage immer, dass einen vielleicht 50 Prozent der Leute mögen und 50 Prozent gar nicht. Mir sind die 50 Prozent, die mich nicht mögen, relativ egal. Allein schon, weil ich die kaum von mir und meinen Entscheidungen überzeugen kann.

Mir sind aber meine Freunde wichtig. Ich nehme sehr ernst, wenn mir Freunde eine kritische Rückmeldung geben – auch wenn ich eigentlich gelobt werden möchte. Und wenn man zudem zwei selbstbewusste Töchter hat, lernt man sehr schnell, Feedback zu akzeptieren und sich zu hinterfragen.

Frage:  Und wie sieht Führung von Künstlern aus? Sie sind ja auch in diesem Feld unterwegs.

Walter Feucht: In der Musik ist Führung auch nicht viel anders. Außer dass Künstler ein absolutes Vertrauen in Dich als Produzenten brauchen. Künstler haben schließlich ein extremes Ego, sonst könnten sie nicht Künstler sein. Der Shakespeare-Regisseur Dion McHugh hat mir Künstler einmal so beschrieben: „Du musst Dir einen Künstler so vorstellen: Da steht ein ganz ganz großer Stuhl und da sitzen die Künstler drauf, die Beine reichen aber nicht ganz auf dem Boden.“ Du musst ihnen also Vertrauen geben - und über dieses Vertrauen kannst du sie dann auch für neue Projekte begeistern.

Frage:  Jetzt haben Sie von ihren selbstbewussten Töchtern gesprochen. Sie führen das Unternehmen auch mit einer Tochter zusammen in der Geschäftsführung. Haben Sie ihr denn irgendwas mitgegeben an Tipps?

Walter Feucht: Mit Tipps bin ich sehr vorsichtig.  Als meine älteste Tochter bei Uldo als Geschäftsführerin angefangen hat, habe ich angeboten, mitzuhelfen. Aber immer, wenn ich auf meine Erfahrung zu sprechen kam, gab es heftige Diskussionen.  Ich kann daher insbesondere Eigentümern und Führungskräften aus mittelständischen Betrieben empfehlen: Du als der Lebenserfahrene, Du musst dich zurückhalten.

Frage:  Was heißt zurückhalten konkret?

Walter Feucht: Auch wir haben als Führungskräfte genug eigene Fehler gemacht. Das vergessen aber manche Führungskräfte in ihrer unglaublichen Wichtigkeit. Und das ist der entscheidende Punkt als Eigner und Führungskraft: Da musst Du Dich zurückhalten. Die neuen Führungskräfte müssen und dürfen ihre eigenen Fehler machen. Und das ist dann das Erstaunliche: Wenn ich selbst Vertrauen habe in die neue Führung, dann kommt auch viel zurück. Meine älteste Tochter fragt mich dann ab und an, wie ich bestimmte Dinge entscheiden würde. Und dann sage ich immer, dass es ihre Entscheidung ist.

Und noch eines: Ich bin zwar der alte Chef, aber wenn Mitarbeiter mit Themen direkt zu mir kommen, dann halte ich mich immer zurück. Ich habe die Entscheidungen meiner ältesten Tochter als Verantwortliche für das operative Geschäft kein einziges Mal überstimmt. Denn wenn ich das machen würde, dann käme mit Sicherheit - und zu Recht - der Punkt, in dem es heißt „Dann mach doch das Geschäft allein.“

Frage:  Also heißt das auch, Verantwortung zu übergeben?

Walter Feucht: Ich halte von der jungen Generation sehr viel. Gib den Leuten eine Chance. Sie werden sich entwickeln. Aber bitte nicht mit Ratschlägen zupflastern, das kommt nicht gut an. Das hätte ich mir damals auch nicht gewünscht. Als neue Führungskraft muss man dann natürlich auch so stark sein, dass man mit Breitseiten zurechtkommt.

Herr Feucht, vielen Dank für das Interview.

Die Un­ter­neh­men

Die Uldo-Backmittel GmbH mit Sitz in Neu-Ulm stellt für Bäckereien Backkonzentrate, Backmittel, Tiefkühl-Funktionsprodukte sowie Backzutaten und Füllmittel für Feingebäck her. Das Unternehmen wurde 1960 gegründet und 1982 von Walter Feucht übernommen.

Die Pomp Duck and Circumstance GmbH mit Sitz in Neu-Ulm wurde 2003 übernommen und bietet Entertainment-Konzepte mit Varieté und Circus, Musical und Comedy.