Fa­zit zur In­ter­viewrei­he „Füh­rung: Wir re­den mit.“

Alle Interviews wurden von drei Professoren der Hochschule Neu-Ulm, Achim Weiand, Rupert Bardens und Barbara Brandstetter, geführt. Sie sprachen in unterschiedlichen Konstellationen mit Führungskräften aus verschiedenen Bereichen zum Thema Führung. Von Juni 2022 bis Juli 2023 erschienen monatlich ein bis zwei Interviews – einige davon auch als Podcast.

Interviewserie: Führung: Wir reden mit.
August 2023

In­ter­view mit Achim Wei­and, Ru­pert Bar­dens und Bar­ba­ra Brand­stet­ter.

Frage: Was war die Intention dieser Interviewreihe?

Antwort: Wir waren neugierig, wie Führungskräfte aus unterschiedlichen Branchen ihr Kerngeschäft „Führung“ sehen. Deshalb sind wir auch bewusst „in die Breite“ gegangen und haben Führungskräfte unter anderem aus der Öffentlichen Verwaltung, dem Pharma-Bereich, aus Sport und Musik, einer Kammer, einem Bundeswehr-Krankenhaus für diese Interviewreihe gesucht. Wir haben mit einem Betriebsrat eine ganz andere organisationsinterne Perspektive als die der Führungskräfte; mit einer Personalberaterin haben wir einen externen Blick auf Führungskräfte. Wir haben einen Erben, der gleichzeitig Geschäftsführer ist, und wir haben den Gründer und Inhaber eines kleinen Unternehmens.

Frage: Welche Gemeinsamkeiten gab es zwischen den Interviewten?

Antwort: Alle interviewten Führungskräfte hatten einen scharfen Blick für ihr jeweiliges organisationales Umfeld, da der Zweck der Organisation die Zielrichtung von Führung vorgibt und die Organisation die Rahmenbedingungen für Führung definiert. Führung ist also jeweils organisational geprägt. So spielt sich Führung im Bundeswehrkrankenhaus vor dem Hintergrund des soldatischen Gehorsams gegenüber Vorgesetzten und dem Ziel von Heilberufen ab. In einer Jazz-Pop-Band ist es hingegen das gemeinsame, kreative Entwickeln von Musik.

Eine weitere Gemeinsamkeit aus unserer Sicht war die hohe Bedeutung der Selbst-Führung und der Selbst-Reflexion bei den interviewten Führungskräften. Alle betonten, dass man sich selbst in seinen (meist) automatisierten Verhaltensweisen kennen sollte, wenn man Mitarbeitende führt. Man wäre dann eine schlechte Führungskraft, wenn man nicht wüsste, wie man selbst „tickt“. Hilfreich wären hier die bewusste Selbst-Reflexion der eigenen Position, der eigenen Verhaltensweisen und der Erwartungen der Geführten oder ein strukturiertes Coaching durch Externe.

Viele Führungskräfte artikulierten auch sehr deutlich, dass man prinzipiell Menschen mögen sollte, wenn man führen will. Dazu passt auch gut, dass sie eine ermöglichende Funktion von Führung in Bezug auf die Mitarbeiter und deren Kompetenzen akzentuieren. Und – weitergedacht: Ohne die Kompetenz und das Engagement der Mitarbeitenden kommt kein Führungs- und Organisationserfolg zustande.

Was aus der Sicht der befragten Führungskräfte ebenfalls sehr wichtig ist: Wer Führungsverantwortung übernimmt, muss es auch ausdrücklich wollen, mit allen Vor- und mit allen Nachteilen einer Führungsposition.

Frage: Wo gab es Unterschiede?

Antwort: Die Unterschiede wurden von den Führungskräften dort artikuliert, wo es jeweils um ihre Organisation und ihre Rahmenbedingungen für Führung ging. So kann ein von der Mitgliederversammlung gewählter Präsident einer Handwerkskammer auch von den Mitgliedern wieder abgewählt werden und hat damit weniger direkte Steuerungsmöglichkeiten als ein General Manager mit Profit-und-Loss-Verantwortung, der durch den Vorstand der Gesellschaft mit einem klaren Auftrag bestellt wurde. Der Trainer einer Profi-Basketball-Mannschaft hat eine andere Führungsklientel als ein Bandleader, der seit vielen Jahren mit den gleichen, befreundeten Mitgliedern spielt. Spannend war für uns deshalb der Quervergleich über die Interviews und die Unterschiede, die sich daraus ergaben.

Frage: Was hat Sie überrascht?

Antwort: Überrascht hat uns zum einen, dass wir so schnell so viele Führungskräfte gefunden haben, die uns bereitwillig erzählt haben, wie sie führen –deshalb noch einmal ein großes Dankeschön von unserer Seite. Zum anderen hat uns überrascht, wie viele Gedanken sich Führungskräfte zu ihrem Kerngeschäft „Führung“ machen und wie explizit sie ihre Überlegungen artikulieren.

Zwei der interviewten Führungskräfte betonten die Bedeutung von Demut. Sie trennten zwischen ihrer herausgehobenen Funktion als Führungskraft, die auch mit Macht verbunden ist, und sich selbst als Menschen. Und was noch positiv auffiel: Bei keiner der interviewten Führungskräfte zeigte sich so etwas wie „Führungsmüdigkeit“, also Anzeichen von chronischer Übermüdung oder Überforderung. Alle scheinen ihren Führungsjob gerne zu machen.

Frage: Wo bezogen sich Führungskräfte auf die Führungsforschung?

Antwort: Erstaunlicherweise gab es in allen Interviews nur einen direkten Bezug auf eine Führungstheorie mit dem Ansatz des Servant Leadership. Ansonsten aber bezogen sich die Führungskräfte allgemein auf Fachliteratur und Seminare, ohne dabei aber ein Modell oder eine Theorie zu favorisieren. Offensichtlich haben alle Führungskräfte in der Praxis ein für sie selbst handlungsleitendes Modell von Führung entwickelt, das ihr Führungshandeln in Verbindung setzt zu den Erwartungen und dem Verhalten der Geführten und den organisationalen Rahmenbedingungen. Dies entspricht dann wieder der Führungsforschung.

Frage: Was ist Ihr Fazit?

Antwort: Was uns aufgefallen ist, ist die Tatsache, wie viel an Führungsinstrumenten und -verhalten sich übertragen lässt, obwohl die organisationalen Kontexte sehr verschieden sind. Einige Beispiele sollen dies exemplarisch verdeutlichen. So beschreibt beispielsweise Andreas Burkhardt, wie wichtig die Reflexion über neue Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Herausforderungen bei einer neuen Führungsposition sind. Dies gilt nicht nur für Industrieunternehmen, sondern etwa auch bei der Beförderung von der Lehrerin zur Rektorin. Und Ulrike Engelhardt beschreibt ihr Konzept der „offenen Sprechstunde“, das sich - mit Abwandlungen - auch in anderen Führungskontexten gut machen würde. Joo Kraus schildert anschaulich, wie Führung Selbstvertrauen bei Geführten aufbauen kann. Michael Weiss beschreibt das Prinzip der „Morgenandacht“ in seinen Zahnarztpraxen, bei der in Teams der Tag vorab mit seinen Aufgaben und Patienten kurz durchgesprochen wird. Dies ist sicherlich auch ein Instrument mit der Möglichkeit, es in anderen Kontexten einzusetzen. Und Thorsten Leibenath schildert in seinem Interview anschaulich und nachvollziehbar, wie er mit seinen Profi-Spielern in die Klärung geht, was seine eigenen Ziele und Verantwortlichkeiten und die Ziele und Verantwortlichkeiten seiner Spieler angeht. Soweit exemplarisch einige gute Ideen aus den insgesamt 18 Interviews.

Unser Fazit: Es lassen sich aus jedem Interview tolle Ideen herausfiltern und in das eigene Führungshandeln integrieren.

Prä­gen­de Füh­rungs­as­pek­te

Abschließend haben wir versucht, aus den geführten Interviews für uns prägende Führungsaspekte abzuleiten:

Zum Führungshandeln

  • Führungskräfte sollten Mitarbeiter von Entscheidungen überzeugen. Wenn Mitarbeiter wissen, warum sie etwas tun sollen, dann ergibt es für sie auch Sinn.
  • Gute Führung bedeutet, dass die Mitarbeiter mitgenommen werden, dass ihre Ideen und ihre Vorschläge nach Möglichkeit aufgegriffen werden.
  • Führungsleistung wird deutlich weniger eingefordert, wenn es ein klares Ziel für alle gibt. Ist diese Klarheit gegeben und das Ziel akzeptiert, dann tragen die meisten Mitarbeiter sehr gerne ihren Teil dazu bei. Über diese Zielklarheit und Akzeptanz entsteht sehr viel Motivation.
  • Das Vorleben durch die Führungskraft ist nicht nur ein Erfolgsfaktor, es ist die Basis. Führungskräfte sollten nicht Wasser predigen und selbst Wein trinken. Führungskräfte sollten zeigen, dass sie selbst das machen, was sie sagen oder von anderen einfordern.
  • In sehr belastenden Arbeitssituationen ist es wichtig, als Führungskraft präsent und authentisch zu sein. Insbesondere in diesen Zeiten müssen die Mitarbeiter den Raum bekommen, sich mitzuteilen.
  • Basis einer Zusammenarbeit und Führungsbeziehung ist das Vertrauen; von den Führungskräften und von den Mitarbeitern.
  • Zu einer guten Führung im Unternehmen gehören auch die Werte und die Auswahl guter Führungskräfte, die die Kultur und die Werte des Unternehmens leben.

Zur Führungsperson

  • Führungskräfte sollten selbst-reflektiert und mit sich selbst im Reinen sein, um nicht eigene Probleme auf andere Menschen zu übertragen. Führungskräfte sollten sich selbst führen können, um auch andere Menschen gut führen zu können.
  • Führungskräfte müssen ein Interesse an Menschen haben; fachliche Kompetenz reicht nicht aus.
  • Führungskräfte brauchen eine tiefe menschliche Empathie. Ohne diese werden sie keinen Erfolg haben, egal, welche Führungs-Modelle sie anwenden.
  • Führungskräfte sollten respektvoll mit jedem einzelnen Mitarbeiter umgehen. Alle müssen so behandelt werden, wie auch die Führungskraft selbst behandelt werden möchte. Klare Ansagen sind manchmal notwendig, aber das geht auch mit Respekt.
  • Eine gute Führungskraft ist in der Lage, durch das eigene Zurücknehmen einer vorhandenen Kreativität Raum zu geben, aber auch im Bedarfsfall Mitarbeiter an die Hand zu nehmen. Und sie kann die eine Situation von der anderen unterscheiden.

Füh­rung in Zah­len

(Brand 1, Heft 10/2022, S. 48)

Anteil der Führungskräfte in Deutschland, in Prozent, die angeben, dass sie…
… ihre Führungsverantwortung als Belastung empfinden26
… nicht sicher sind, ob ihnen eine Führungsrolle liegt23
... ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden22
Anteil der Führungskräfte in Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz, in Prozent, die glauben, dass ihre Rolle als…
...Vorgesetzter immer wichtiger wird4
... Entscheider immer wichtiger wird21
... Leader und Sinnstifter immer wichtiger wird80
Anteil der Führungskräfte in Deutschland, in Prozent,
… die mit ihrer Führungsposition zufrieden sind62
... die sich mehr Verantwortung wünschen28
… die sich eine Position mit weniger Verantwortung wünschen10