„Menschen ermutigen und befähigen – das heißt Führung.“
Interview mit Thorsten Leibenath
Rupert Bardens und Achim Weiand sprachen mit Thorsten Leibenath vom Basketballverein BBU´01 aus Ulm über das Führen einer Profimannschaft als Trainer, über seinen neuen Job als Sportdirektor bei dem gleichen Verein und die Übertragbarkeit von Führungsprinzipien aus dem Sport in andere Organisationen.
Interviewserie: Führung: Wir reden mit.
November 2022
Interview mit Thorsten Leibenath
Frage: Herr Leibenath, schön, dass wir bei Ihnen im Orange Campus zu Gast sein dürfen. Was uns bei Ihnen besonders interessiert, ist, dass Sie Führung im Sport aus zwei Perspektiven wahrnehmen: Nämlich als ehemaliger Trainer und als aktueller Sportdirektor. Würden sie sich bitte kurz selbst vorstellen?
Thorsten Leibenath: Mein Name ist Thorsten Leibenath, ich bin 47 Jahre alt, verheiratet und habe zwei Kinder. Irgendwann habe ich den Beruf des Industriekaufmanns erlernt, es stand aber relativ schnell fest, dass das nicht der Beruf sein wird, den ich ausüben möchte, sondern dass ich Basketballtrainer werden möchte. Diesem Ziel habe ich dann alles verschrieben, habe die notwendigen Lizenzen gemacht und dann auch relativ früh auf hohem Niveau als Assistenztrainer arbeiten dürfen. Ich bin als Assistenztrainer in die erste Liga aufgestiegen, dort rund sieben Jahre geblieben, um dann die ersten Schritte als Head Coach zu unternehmen. Dafür bin ich nach Schottland gegangen und habe in der ersten Liga als Head Coach gearbeitet. Nach diesem Schritt bin ich zurück in die Bundesliga, erst mit mäßigem Erfolg; seitdem ich dann hier in Ulm als Trainer war, mit relativ großem Erfolg. In meinen acht Jahren als Trainer sind wir zweimal ins Finale der Deutschen Meisterschaft gekommen, zweimal ins Pokalfinale und haben auch international recht gute Leistungen gezeigt. Der Verein hat mir nach diesen acht Jahren angeboten, dass ich Sportdirektor werden kann. Dieses Angebot zum Switch ins Management habe ich gerne angenommen und ich habe jetzt einen nicht weniger spannenden Tagesablauf.
Frage: Wie führt man als Trainer? Wie kann ich mir das vorstellen? Ich denke, wir könnten unterscheiden zwischen Führen im Training und Führen im Spiel.
Thorsten Leibenath: Die Frage kann ich so nicht beantworten, da die Führungsstile, die Trainer an den Tag legen, sehr unterschiedlich sind. Ich habe für mich irgendwann definiert, wie ich selbst Führung für richtig erachte. Da hat sich herauskristallisiert, dass ich dann am erfolgreichsten bin, wenn ich es möglichst demokratisch halte und wenn ich es schaffe, meine Spieler in Entscheidungsprozesse einzubinden. Gleichzeitig muss ich aber auch klar abstecken, in welchen Bereichen demokratisch entschieden wird und in welchen Bereichen nicht. Es ist auch wichtig, zu definieren, zu welchen Zeitpunkten demokratisch entschieden wird. Für unsere Spieler war es beispielsweise immer klar, dass wir in einer Spielsituation nicht diskutieren werden, da wir hier einfach nicht die Zeit haben, eine Analyse zu fahren und Standpunkte auszutauschen. In einer Spielsituation ist der Trainer der Entscheider, koste es, was es wolle.
In der Vor- und Nachbetrachtung habe ich mir jedoch immer das Wissen der Spieler zunutze gemacht und habe es auch eingefordert. So haben wir größtmöglichen Konsens erhalten. Für mich ist das auch ein Teil von Motivation, wenn ich es schaffe, Spieler in Entscheidungsprozesse einzubinden und sie in die Verantwortung zu nehmen. Dann können sie sich deutlich mehr mit der Aufgabe und auch mit dem Lösungsweg identifizieren. Es war mir immer wichtig, nicht einfach den Spielern zu sagen „Das ist die Spielstrategie, die wir in der nächsten Begegnung fahren.“, sondern ich wollte mit ihnen gemeinsam Lösungen entwickeln. Das halte ich für einen sehr motivierenden Aspekt der Führung und ich bin damit auch gut gefahren.
Frage: Für die Umsetzung eines derartigen Führungsstils brauchten Sie aber auch „erwachsene“ Spieler, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen, und Sie brauchten auch mehr Zeit etwa für Diskussionen.
Thorsten Leibenath: Es ist natürlich einfacher, sich vor die Mannschaft zu stellen und zu sagen: „Das ist der Weg.“ Es benötigt mehr Konzentration und mehr Zeit, wenn man sich stattdessen hinstellt und sagt „Ich beschreibe euch jetzt mal die Situation X. Was wären eure Handlungsempfehlungen?“ Es ist auch klar, dass bei einer Mannschaft nicht alle einer Meinung sind. Das heißt, es muss diskutiert werden. Dann gibt es Situationen, in denen ich eine Einstimmigkeit aller Spieler benötige. Es gibt aber auch Situationen, wo der Mehrheitsentscheid ausreichend ist. Wenn acht von zehn Spielern der Meinung sind, wir sollten es so machen, dann machen wir es so. Es gibt auch Situationen, bei denen ich nicht das Meinungsbild der gesamten Mannschaft brauchte, sondern vielleicht nur das Meinungsbild des Kapitäns. Das ist in der Tat ein möglicherweise beschwerlicher Weg.
Ich bin da aber sehr pragmatisch drangegangen. Ich habe mir gesagt, dass es natürlich schlau ist, wenn ich möglichst viele von meinen Spielern im Boot habe. Wie kriege ich sie ins Boot? Indem ich sie in Entscheidungen miteinbeziehe. Gleichzeitig ist das aber auch nicht nur für mich etwas beschwerlicher, sondern auch für die Spieler. Denn es ist natürlich einfacher, nur zu konsumieren und im Zweifel, wenn das Ergebnis nicht passt, zu meckern. Diesen leichten Weg wollte ich meinen Spielern nicht geben. Ich habe immer frühzeitig jeden Spieler darauf hingewiesen. „Du musst hier in diese Verantwortung gehen. Sei dankbar dafür. Das wird dir helfen, dich schneller auf ein höheres Niveau zu entwickeln.“ Diese Übernahme von Verantwortung halte ich für sehr wichtig in einem Entwicklungsprozess.
Frage: Gibt es bei diesem Ansatz Unterschiede zwischen erfolgreichen Zeiten oder bei Pechsträhnen?
Thorsten Leibenath: Ich hoffe nicht. Ich glaube, mein Ansatz war der gleiche, unabhängig von Sieg oder Niederlage. Natürlich gibt es weniger zu hinterfragen, wenn die Resultate stimmen, und es kommen mehr Fragen auf, wenn die Resultate eben nicht stimmen. Aber ich habe mich in meinem Handeln relativ wenig an Resultaten orientiert, ich habe mich an den Entscheidungen und der Bewertung von Entscheidungen orientiert. Beispielsweise, ob im Spiel die Entscheidung eines Spielers eine gute Entscheidung war, in einer bestimmten Situation einen Wurf zu nehmen. Diese Entscheidung steht nicht im direkten Zusammenhang mit dem Resultat, ob der Ball reingeht oder nicht, davon habe ich mich losgemacht. Als Fan ist es natürlich wichtig, ob der Ball reingeht oder nicht, da spielen aber Glück oder Pech auch eine Rolle. Für mich war wichtig, ob die Entscheidung des Spielers, in dieser Situation den Wurf zu nehmen, schlau war, oder ob wir da irgendwas justieren müssen. Technische Fertigkeiten lassen sich über ein Wurftraining leicht verbessern. Aber die Entscheidung, zu einem guten Wurf zu kommen, das ist viel schwerer und das benötigt viel mehr Aufmerksamkeit. Und diese Aufmerksamkeit habe ich nach guten Spielen und nach schlechten Spielen in gleichem Maße gegeben.
Frage: Jetzt sind Sie im Basketball in einer Sportart unterwegs, die relativ schnell ist, mit häufigen Wechseln der Spielsituation und mit einem lauten Publikum auf Rufdistanz. Als Trainer erleben Sie eine große Stress-Situation mit Handlungsdruck. Wie bleiben Sie trotzdem ruhig und bewerten Entscheidungen von Spielern und von Ihnen selbst?
Thorsten Leibenath: In einer derartigen Stresssituation habe ich natürlich mit einem höheren Puls agiert, ich habe ihn nicht da halten können, wo ich ihn in einer Trainingssituation habe. Ich habe mich dann gefragt, wann ich wahrscheinlich am besten handle – natürlich, wenn mein Puls relativ weit unten ist. Also wird die Qualität meiner Entscheidungen in einem Spiel nicht ganz so gut sein, weil viele störende externe Faktoren hinzukommen. Und dann habe ich daraus abgeleitet, dass es ja schlau wäre, wenn ich gar nicht so viel entscheiden müsste in einem Spiel. Wie komme ich dahin, dass ich in dieser stressigen Phase gar nicht groß entscheiden muss? Indem ich die Mannschaft bestmöglich vorbereite und indem ich der Mannschaft Tools mitgebe, dass sie selbst in dieser Situation entscheiden kann. Ich bin als Trainer sehr oft kritisiert worden, zu wenig Auszeiten zu nehmen und einzugreifen, wenn es gerade nicht gut läuft im Spiel. Ich war aber immer der Überzeugung, dass ich meine Arbeit während der Woche gemacht haben muss. Wenn ich sie dort gut gemacht habe, dann sind die Spieler in der Lage, sich selbst aus dieser Situation heraus zu ziehen. Und dann ist es nicht nötig, dass ich permanent korrigiere und permanent Einfluss nehme. Ich glaube, richtig gute Mannschaften können relativ autark von der Führung des Trainers fungieren, weil sie als Gemeinschaft während der Woche gute Arbeit geleistet haben.
Frage: Sie hatten eingangs erwähnt, dass Sie „Leitplanken“ gesetzt hatten. Da gab es Themen, die wurden demokratisch entschieden zusammen mit der Mannschaft. Was wurde denn nicht demokratisch entschieden?
Thorsten Leibenath: Ich fange an mit dem, was demokratisch entschieden wurde. Wir haben über Zielsetzungen gesprochen. Ich hab mich beispielsweise nicht vor die Mannschaft gestellt und habe gesagt „Wir müssen unter die ersten vier Mannschaften kommen.“ Ich war in diesen Gesprächen zur Zielsetzung für die Saison Moderator, gleichberechtigtes Mitglied und habe auch meine Meinung vorgetragen. Da waren aber auch 12 Spieler, die ihre Meinung vorgetragen haben, und dort mussten wir zu einem einstimmigen Ergebnis kommen, das alle quasi unterschreiben konnten. Das war dann unsere Zielsetzung, aber da gab es keinen übergeordneten Impuls von mir.
Dann gab es Dinge, die ich schlicht und ergreifend eingefordert habe, über die wir auch nicht diskutiert haben. Beispielsweise die Art und Weise, wie man miteinander kommuniziert und den gegenseitigen respektvollen Umgang. Spieler konnten in einer Nicht-Trainings- oder Nicht-Spiel-Situation mit mir flaxen oder einen dummen Spruch machen. Das Gleiche habe ich auch mit ihnen gemacht. Ich habe keinen Spieler beschimpft, ich bin aber auch von den Spielern nicht einmal beschimpft worden. Ich habe sie hart kritisiert, so dass es mit Sicherheit auch weh getan hat, aber ich bin nicht auf eine persönliche Ebene gegangen. Es war klar: Wenn ich den Spieler hart kritisiere, dann hat er die Möglichkeit zu sagen, dass er mit meinen Argumenten nicht einverstanden ist. Aber es wird nie zu einem Punkt kommen, dass es persönlich wird, dass ich ihn beleidige oder dass er mich beleidigt.
Das sehe ich bei vielen Trainern anders und das mag auch zum Erfolg führen, aber das war eine Leitplanke, die ich gesteckt habe, die auch nicht verhandelbar war. Das halte ich für wichtig und das würde ich auch wieder so machen.
Frage: Gab es noch etwas, was nicht verhandelbar ist?
Thorsten Leibenath: Nicht verhandelbar ist beispielsweise, dass wir in Ulm der Spielerentwicklung einen ganz besonderen Stellenwert geben. Wenn jetzt ein Spieler kommt und einfach nur seinen Pay-Check bekommen will, dann ist er hier falsch am Platz, das wird nicht funktionieren. Er muss eine besondere Bereitschaft zur Weiterentwicklung mitbringen.
Nicht verhandelbar war auch, dass ein Spieler richtig Lust auf diesen Sport haben muss. Deshalb war es mir auch manchmal lieber, einen Spieler mit schlechter Laune in einem Training nicht dabei zu haben, weil er dann die Mannschaft runtergezogen hätte. Deshalb habe ich jedem Spieler zwei „Freifahrtscheine“ pro Saison gegeben, mit denen er sich beim obligatorischen Mannschaftstraining entschuldigen konnte. Das haben insbesondere die US-amerikanischen Spieler nur schwer verstanden.
Frage: Basketball als Mannschaftssport lebt von zwei sehr gegensätzlichen Polen: Zum einen von der Zusammenarbeit im Team, von den fünf Spielern, die auf dem Platz stehen, und zum anderen von dem teaminternen Wettbewerb, in die erste Formation zu kommen. Wie schwierig ist das Managen dieser teilweise gegensätzlichen Ansprüche?
Thorsten Leibenath: Das ist ein Balanceakt, der gar nicht mal so selten scheitert. Ein Trainer will natürlich, dass sich die Spieler als Einheit verstehen und jeder für den anderen kämpft, gleichzeitig gibt es positionsinterne Wettkämpfe. Der Trainer wünscht sich, dass ein Spieler alles für den Mitspieler macht, gleichzeitig muss der Mitspieler den anderen Spieler auch dermaßen pushen, dass dieser an seine Leistungsgrenzen kommt. Spieler verstehen dieses Dilemma sehr gut: Sie wissen, dass sie ihre Mitspieler brauchen in diesem Mannschaftssport und dass sie sich gleichzeitig von ihm abgrenzen müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen.
Man muss verstehen: Dieses „11 Freunde-müsst-ihr-sein“-Thema ist schön, es ist aber nur ein Idealbild. Es ist nicht schlimm, wenn es nicht erreicht werden kann, solange jeder Spieler versteht, dass, auch wenn man sich möglicherweise nicht besonders mag, der andere für den Kollektiverfolg eine wichtige Rolle hat. Solange man das akzeptiert, kann man auch gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten, ohne dass man nach jedem Training nochmal gemeinsam ein Bier trinken geht. Es ist o.k. auf einer persönlichen Ebene vielleicht nicht das beste Verhältnis zu einem Mitspieler zu haben - und man kann trotzdem höchstmöglichen Erfolg erzielen. Dieses Recht muss man den Spielern zubilligen.
Frage: Ein Trainer muss auch harte Entscheidungen treffen, beispielsweise: Wer passt überhaupt zum Team? Wer bekommt wieviel Spielzeit? Das sind Entscheidungen, die die Spieler direkt betreffen, die aber wahrscheinlich zu Ihrem ureigensten Entscheidungsbereich als Trainer gehören.
Thorsten Leibenath: Ja, es ist schwierig bis undenkbar, mit der Mannschaft im Vorfeld einer Begegnung zu verhandeln, wer wieviel spielt, das wird nicht gehen. Ich muss es trotzdem schaffen, Akzeptanz herzustellen für meine Entscheidungen, die von den Spielern mitgetragen werden müssen, denn sie stehen ja auf der Spielfläche. Wie schaffe ich es, dafür Akzeptanz herzustellen? Ich habe festgestellt, dass sie meine Entscheidungen leichter mittragen, wenn ich den Spielern vor Augen führe, dass wir eine identische Zielsetzung besitzen von dem, was Erfolg ist. Also frage ich jeden Spielern vor der Saison: Was möchtest du hier erreichen? Der Spieler wird mir in der Regel sagen: Ich möchte richtig viel spielen, dann kann ich einen dickeren Vertrag unterschreiben. Dann frage ich: Was glaubst du, was dafür nötig ist? Dann kommt: Wir brauchen den mannschaftlichen Erfolg, denn wenn ich der beste Spieler bei einem schlechten Team bin, dann kräht kein Hahn nach mir. Jeder Spieler versteht, dass er den Teamerfolg braucht, um individuell zu gut sein.
Dann frage ich ihn: Was glaubst du, was meine Ziele als Trainer sind? Mein Ziel ist natürlich der mannschaftliche Erfolg, denn dann kommen meine Geschäftsführer und sagen: Hast du toll gemacht, Thorsten. Und ich bekomme einen besseren Vertrag. Mein Ziel ist aber auch, jeden einzelnen Spieler besser zu machen, denn dann stehe ich auch im Mittelpunkt und bekomme Aufmerksamkeit als ein Trainer, der Spieler entwickelt. Ich habe also genau die gleichen Ziele wie meine Spieler. Man denkt ja oft, dass es dem Chef nicht so wichtig, wie es mir geht. Doch, mir als Trainer war es sehr wichtig, wie es dem Spieler geht. Und ich habe kein einziges anderes Ziel als den individuellen Erfolg der Spieler und den mannschaftlichen Erfolg. Wenn das verstanden wird von den Spielern, dass der Trainer nichts anderes will und dass der „einem nichts Böses“ will, dann ist es auch deutlich leichter, teilweise schwere Entscheidungen zu akzeptieren.
Manchmal akzeptieren Spieler aber schwere Entscheidungen nicht. Dann muss man Lösungen suchen, und die härteste Lösung, die man aber auch nicht ausschließen soll, ist eine Trennung.
Frage: Ich drücke es mal überspitzt aus: Es ist natürlich wunderbar und schön, wenn ich als Spieler das Mannschaftsziel erreiche und selbst viel Spielzeit habe. Aber notfalls muss ich auch akzeptieren, dass ich zur Zielerreichung der Mannschaft am meisten beitrage, wenn ich akzeptiere, dass ich selbst wenig Spielzeit habe.
Thorsten Leibenath: Das ist in der Tat so. Das Schöne im Basketball ist, dass sehr viel mit Statistiken gearbeitet wird (Punkte, Assists, Rebounds, Steals, 3-Pointers…). Es passiert selten, dass ein Spieler sehr gute Statistiken hat und gleichzeitig wenig spielt. Eher sind die Statistiken eines Spielers „überschaubar“ und deswegen setzt der Trainer einen anderen Spieler mehr ein. Man kann als Trainer die Performance seiner Spieler schwarz auf weiß belegen und Entscheidungen untermauern.
Das sind keine einfachen Gespräche und es ist auch völlig legitim, da unterschiedlicher Meinung zu sein. Das sind aber Spannungsfelder, die ein Trainer tagtäglich auffindet und zu lösen hat. Das geht meiner Meinung nach besser, wenn man transparent kommuniziert, wenn man ehrlich kommuniziert und keine taktischen Spielchen macht, und wenn man belastbares Material wie Statistiken oder Videos nutzen kann.
Frage: Wenn ich es jetzt paradox formuliere: Ihr Rezept, um eine gute Mannschaft bewusst an die Wand zu fahren, wäre: Autokratisch regieren, keine Entscheidungsprozesse abgeben und den Alleinherrscher geben.
Thorsten Leibenath: Ich kenne sehr viele, sehr gute Mannschaften, die genauso geführt werden. Ich glaube sogar, dass für einen kurzfristigen Erfolg der autokratische Führungsstil von Vorteil ist. Aber ich sehe einfach nicht die Langfristigkeit dahinter. Kurzfristig draufzuhauen, Mitarbeitern Angst zu machen und dadurch ein Maximum aus ihnen herauszukitzeln, das ist mit Sicherheit möglich. Es ist nicht sonderlich motivierend, der Spieler hat dann keinen Spaß an seiner Arbeit, aber er wird trotzdem Leistung abliefern. Man kann auch Erfolge erzielen, indem man den Gegner demütigt im Sinne von „Die zerreißen wir heute, die können gar nichts.“ und dadurch ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt. Das sind beides Führungsstile, mit denen ich mich nicht identifizieren kann, die ich aber als legitime Führungsstile akzeptiere. Für mich ist es auf jeden Fall nicht nachhaltig genug und es passt auch nicht zu meiner Persönlichkeit.
Frage: Sie sind jetzt Sportdirektor und haben Ihren eigenen Nachfolger als Trainer ausgesucht. Das stelle ich mir sehr spannend und gleichzeitig sehr verlockend vor: Den eigenen Nachfolger als Trainer aussuchen und gleichzeitig immer in der Versuchung sein, als Sportdirektor irgendwie in den Bereich des Trainers eingreifen. Wie managen Sie das?
Thorsten Leibenath: Ich lasse dem Trainer eine extrem lange Leine. Das habe ich so von meinem Chef gelernt, der mir auch nur Leitplanken gegeben hat, die sehr weit auseinander waren. Erst dann, wenn sich Probleme hochschaukeln, nehme ich mich als Korrektiv wahr und versuche, meinen Einfluss geltend zu machen. Aber der direkte Vorgesetzte der Spieler ist der Trainer - und nicht ich. Wenn ich dazwischen haue, dann untergrabe ich die Autorität des Trainers. Ich habe es sehr genossen, dass ich fast nur bei Vereinen gearbeitet habe, wo das meine Vorgesetzten nicht gemacht haben und meine Autorität nicht dadurch untergraben haben, indem sie sich selbst wichtiger genommen haben, als sie sind, und etwa eine Kabinenansprache in der Halbzeit gehalten haben. Spätestens wenn ich das tue, dann ist die Position des Trainers geschwächt. Ich habe kein Interesse daran, seine Position zu schwächen. Also lasse ich ihn machen.
Meine Form von Führung als Sportdirektor geht eher dahin, dass ich mit ihm Themen diskutiere und ihn dann auch fordere und sage „Warum hast du dich hier so verhalten? Was wären Alternativen gewesen? Warum hast du dich gegen diese Alternative entschieden?“ In diesen Zwiegesprächen gewinne ich größeres Verständnis für seine Entscheidungen und ich sensibilisiere ihn vielleicht für Alternativen.
Frage: Was können Organisationen vom Sport lernen in Bezug auf Führung?
Thorsten Leibenath: Ich genieße das Privileg, dass ich ab und zu bei „klassischen“ Unternehmen zu Führung referieren darf. Ich erzähle dann von unserem Weg, der mit Sicherheit kein allgemeingültiger Weg ist, aber der Weg ist, mit dem wir erfolgreich waren: Menschen frühzeitig in Verantwortung zu setzen. Sie zu befähigen, Verantwortung zu übernehmen. Dieses Empowerment zu leben: Trau Dich, sei mutig, habe keine Angst, eine Entscheidung zu treffen. Habe keine Angst vor Fehlern, Fehler passieren und sind wichtig im Entwicklungsprozess. Also Menschen zu ermutigen, frühzeitig Verantwortung zu übernehmen. Das sorgt in meinen Augen für mehr Zufriedenheit mit der Aufgabe und es sorgt auch dafür, dass man sich selbst schneller entwickelt.
Der Verein BBU´01
Der Verein BBU´01 entstand aus einer Ausgliederung der Basketball-Abteilung aus dem SSV Ulm 1846. Thomas Stoll als geschäftsführender Gesellschafter und Andreas Oettel als Geschäftsführer werden seit 2019 von Thorsten Leibenath als Sportdirektor unterstützt. Im Jahr 2006 gelang der Wiederaufstieg in die 1. Bundesliga, in der der Verein seitdem spielt. Diese Mannschaft spielt unter dem Namen ratiopharm ulm.