„Ein Trai­ner muss sich selbst stän­dig wei­ter­ent­wi­ckeln, da­mit er mich als Ath­le­ten auch wei­ter­ent­wi­ckeln kann.“

Interview mit Arthur Abele

Der Zehnkämpfer Arthur Abele ist nicht nur den Leichtathletik-Fans ein Begriff, seitdem er einen emotional sehr bewegten Abschiedswettkampf bei der Europa-Meisterschaft 2022 in München hatte. Im Interview mit Achim Weiand spricht er über Erwartungen und Ansprüche an Trainer/-innen als Führende aus der Sicht eines Hochleistungs-Athleten.

Interviewserie: Führung: Wir reden mit.
November 2022

In­ter­view mit Ar­thur Abe­le

Frage: Arthur, schön, dass Du hier bist. Du hattest in München einen Abschied von der Bühne des Leistungssports in einem Wettkampf mit emotional extremen Höhen und Tiefen: irrtümliche Disqualifikation bei den 110 m Hürden und Streichergebnis, nächste Disziplin mit Diskuswurf, Einspruch, dann Neustart allein bei den 110 m Hürden… Welche Rolle hat ein Trainer in einer derartigen Situation?

Arthur Abele: Ein Trainer muss den Athleten in dieser Situation wieder auf den Wettkampf fokussieren und möglichst viel vom Athleten abhalten, was in dieser Situation von außen auf ihn einprasselt, z.B. die Presse, die direkt Statements haben will. Er muss zudem dafür sorgen, dass ich im Wettkampf, der ja nach der Disqualifikation bei dieser Einzeldisziplin weiterlief, „funktioniere“ und emotional stabil bleibe, da eine Disqualifikation erst einmal unglaublich viel Energie raubt. Ein Trainer selbst sollte in diesem Moment natürlich emotional dabei sein und verstehen, was im Athleten passiert. Aber gleichzeitig sollte er distanziert bleiben, damit er den Athleten wieder auf das Wesentliche konzentrieren kann und diesem in dem Moment ein bisschen die Last und den Druck nimmt, so dass dieser wieder „funktioniert“ und seine Leistung abliefert.

Frage: Mit wie vielen Trainern hast Du denn in Deiner Karriere zusammengearbeitet?

Arthur Abele: Ich habe extra für dieses Interview mal nachgezählt: Es waren insgesamt sechs Trainer.

Frage: Du hast eine lange erfolgreiche sportliche Karriere hinter Dir. Was sind grundsätzlich Deine Erwartungen an einen guten Trainer oder eine gute Trainerin?

Arthur Abele: Meine Erwartungen an einen Trainer sind: Er sollte sich selbst weiterentwickeln, so dass er immer auf dem neuesten Stand ist, was beispielsweise Trainingsmethoden angeht. Nur wenn er sich selbst weiterentwickelt, dann kann er mich weiterentwickeln als Athlet. Ein Trainer sollte motivierend sein. Und er sollte auf den Athleten eingehen, wenn der Athlet selbst mit Ideen kommt. Als Athlet bekommt man ständig neue fachliche Inputs und überlegt natürlich, ob oder wie man das

Im Training bzw. Wettkampf verwenden kann. Dafür sollte ein Trainer einfach aufgeschlossen sein. Und bei der Trainingssteuerung sollte er genau wissen, wann er seinen Athleten belasten kann und wann er etwas an Belastung rausnehmen muss.

Das alles funktioniert nur durch viel Kommunikation mit dem Athleten. Er muss ständig kommunizieren: „Wie geht es dir heute? Wie siehst du den Trainingsplan?“ und und und.

Als junger Athlet hatte ich wenig Erfahrung mit Trainingssteuerung und -planung, da habe ich natürlich viel Vertrauen in den Trainer gesetzt. Da ging es mir hauptsächlich um „besser, schneller, höher“, egal wie das dann durch ein Training erreicht wird. Wenn man älter wird, dann hat man natürlich viele Ideen, auf die ein Trainer eingehen sollte.

Frage: Du hast jetzt zwei unterschiedliche Stränge angedeutet zur Weiterentwicklung eines Trainers. Zum einen seine eigene fachliche Weiterentwicklung beispielsweise zu neuen Trainings-Methoden, zum anderen aber auch die Weiterentwicklung der Beziehung zwischen Trainer und Athlet.

Arthur Abele: Definitiv. Ein reiferer Athlet hat andere Ansprüche an einen Trainer und die gemeinsame Beziehung als ein 15- oder 16-jähriger, der viel von dem einfach umsetzt, was der Trainer ansagt. Der Trainer ist ja in diesem Fall auch der fachlich Überlegenere. Aus meiner Sicht muss sich jeder Trainer über Fortbildungen ständig weiterentwickeln. Ich glaube, jeder Athlet erwartet, dass der Trainer ebenso maximale Leistung erbringt wie der Athlet. Wenn der Athlet merkt, dass der Trainer nicht mehr hinterherkommt, wenn man merkt, dass man auf der Stelle tritt, wenn man sich als Athlet nicht mehr weiterentwickelt, dann passiert es in unserer Sportart meistens, dass die Athleten vom Trainer weggehen und sich einen neuen Trainer suchen.

Andersherum gesehen: Wenn ein Athlet nicht gewillt ist, sich weiterzuentwickeln, dann muss man als Trainer auch reagieren und sagen „Hey, hast du noch Bock? Was sind deine Ziele?“, um die Motivation wieder hochzufahren. Es ist immer ein Geben und Nehmen zwischen Athleten und Trainer. Wenn das harmoniert zwischen beiden, dann kann man, glaube ich, relativ weit kommen und auch in die in die Weltspitze reinrutschen. Da kommen noch viele andere Faktoren hinzu, aber es muss einfach auf beiden Seiten harmonieren und von der Leistung her stimmen.

Frage: Du sagst, dass das Vertrauen zwischen Athlet und Trainer wichtig ist. Was darf denn ein Trainer nie machen, weil er ansonsten das Vertrauen seines Athleten verlieren würde?

Arthur Abele: Da habe ich verschiedene Sachen bei mir selbst und bei anderen Athleten erlebt, die dieses wichtige Vertrauensverhältnis zerstören. Ein Beispiel: Wenn sich der Trainer mit der Leistung der Athleten rühmt, nur sich selbst präsentiert und den Athleten kaum erwähnt. Oder wenn ein Trainer den Athleten vor versammelter Mannschaft runterlaufen lässt, anpöbelt oder ihm droht. Oder wenn ein Trainer über einen Athleten in dessen Abwesenheit lästert, was der Betroffene dann doch immer irgendwie mitbekommt. Das sind Dinge, die funktionieren nicht und sie zerstören definitiv Vertrauen.

Ich weiß nicht, was sich manche Trainer dabei denken. Im Hochleistungssport verbringt man so viel Zeit zusammen beim Training und in Trainingslagern, man macht auch privat unheimlich viel zusammen und ist manchmal auch „best buddy“.

Frage: Dann wäre ein guter Trainer Fachmann, Motivator, Schutzschirm und Kumpel. Kann das gut gehen mit so vielen unterschiedlichen Rollen?

Arthur Abele: Wenn ein Trainer das Vertrauensverhältnis nicht zerstört, dann kann er neben dem „Fachmann“ auch „Kumpel“ des Athleten sein, das kann funktionieren. Als Athlet fühlt man sich in dieser Art von Beziehung unterstützt und auch emotional sicher. Dann kann der Trainer über diese sehr persönliche Schiene unglaublich viel Motivation und Leistung im Athleten wecken. Diese Nähe kann aber auch vom Athleten wie vom Trainer ausgenutzt werden - mit negativen Konsequenzen. Und dann funktioniert wenig.

Es gibt aber auch Trainer, bei denen das Fachliche im Vordergrund steht, der Trainer ist eine Respektsperson und wird gesiezt. Dort ist mehr Distanz zwischen Trainer und Athlet und Leistung wird beim Athleten generiert vor allem über das hohe Know-how des Trainers. Ich selbst hatte auch sehr gute Resultate mit Trainern, die ich gesiezt habe.

Frage: Was muss ein guter Trainer an Persönlichkeit mitbringen?

Arthur Abele: Er braucht unglaublich viel Fachwissen. Er sollte zudem selbst Sport auf einem hohen Leistungsniveau gemacht haben, um beispielsweise die Drucksituationen im Wettkampf verstehen zu können. Im Idealfall kommt er aus der gleichen Sportart. Er muss offen und ehrlich sein, straight heraus, da er ja auch unpopuläre Entscheidungen treffen muss, wer beispielsweise nominiert und wer nicht nominiert wird. Und er muss klare Ansagen machen an die Trainingsgruppe, wie er sich die Zusammenarbeit und das Verhalten der Athleten vorstellt. Es dreht sich ja bei einer Trainingsgruppe um mehrere Athleten, die alle trainieren und sich verbessern wollen, und nicht nur um einen einzigen Athleten.

Es ist ein schmaler Grat, wie tief und wie weit man hier als Trainer eingreift in das Verhalten des Athleten. Aber ich kannte einen motorisch unglaublich begabten Athleten, der leider viel zu viel Blödsinn gemacht hat, so dass er sein riesiges Potential nie einlösen konnte. Diesem Athleten hätten klare Worte vielleicht geholfen.

Ein Trainer sollte auf die Athleten individuell eingehen und sie in Entscheidungen einbeziehen. Der Athlet muss am Ende selbst performen, und da muss ihn der Trainer unterstützen, indem er beispielsweise eine Marschroute vorgibt. Er braucht auch den Mut, in Training und Wettkampf mal etwas anderes auszuprobieren, selbst wenn man beim ersten Mal auf die Schnauze fällt.

Frage: Ihr seid in der Leichtathletik bei den Leistungssportlern eher kleine Trainingsgruppen. Wie groß war Eure Gruppe im Landesstützpunkt Zehnkampf in Ulm?

Arthur Abele: Wir waren in der Regel um die acht Athleten, die dort trainiert haben.

Frage: Da ist der Kommunikations-Aufwand für einen Trainer schon sehr hoch.

Arthur Abele: Ja, das darf man nicht unterschätzen, der Kommunikations-Aufwand ist sehr hoch. Und wir waren in dieser Trainingsgruppe ja auch unterschiedliche Typen, auf die ein Trainer auch unterschiedlich eingehen muss. Jeder muss aufgrund seiner individuellen Stärken und Schwächen in den zehn Disziplinen auch individuell gesteuert werden. Jeder lernt neue Bewegungsabläufe anders. Wir hatten zudem sensible und eher robuste Naturen, mit denen man unterschiedlich kommunizieren musste. Da wird es auch für den Trainer schwierig, den richtigen Weg zu finden. Das haben wir auch gemerkt: Als es zu viele Athleten wurden, da hat die Qualität des Trainings gelitten, so dass wir das wieder reduziert haben.

Frage: Inwieweit gehört Teambuilding zu den Aufgaben eines Trainers?

Arthur Abele: Aus Athletensicht ist das extrem wichtig. Wir haben in unserer Trainingsgruppe sehr viel zusammen gemacht. Wir waren zusammen klettern, und einer musste den anderen am Seil absichern. Das schafft gegenseitiges Vertrauen. Wir waren zusammen golfen. Wir hatten in der Trainingshalle eine Mini-Tischtennis-Platte und haben in den Trainingspausen oft gespielt. Das war eine teambildende Maßnahme, es war aber als neuer Bewegungsablauf auch wichtig für die Hand-Auge-Koordination, die in unserer Sportart so wichtig ist. Und mit diesem gemeinsamen Spaß im Training kam dann auch die Leistungsbereitschaft.

Diese tolle Stimmung kann aber auch kippen, beispielsweise, wenn man viele Verletzte hat. Das hat auch Einfluss auf die Nicht-Verletzten, weil die Stimmung schlecht ist. Oder wenn man als Athlet viele „Nebentätigkeiten“ wie etwa Sponsoren-Auftritte wahrnehmen muss, die Zeit und Energie fressen. Wenn die Trainingsgruppe nicht läuft, dann hat man Einbußen an Spaß, Energie und Motivation, selbst wenn man den Wettkampf immer alleine macht. Und wenn der Trainer einmal einen schlechten Tag hat oder nicht zu 100 % motiviert ist, dann ist das wegen seiner Führungsposition schlecht für „seine“ Athleten.

Frage: Gab es für Dich ein prägendes Trainer-Erlebnis?

Arthur Abele: Ja, ich hatte wegen meiner ungestümen Herangehensweise teilweise den Spitznahmen „Brechstange“. Wolfgang Beck als mein erster Trainer in Ulm hat mich mit dem Sprichwort „In der Ruhe liegt die Kraft“ und seiner Einstellung dazu gebracht, an viele Dinge gelassener und vernünftiger heranzugehen.

Frage: Willst Du selbst Trainer werden?

Arthur Abele: Ja, ich wollte schon früh unbedingt Trainer werden. Zum einen habe ich aus 25 Jahren Leistungssport ein unglaubliches Fachwissen, das ich gerne weitergeben möchte. Das betrifft Trainingsmethoden, aber auch den Umgang mit Druck im Wettkampf oder mit Verletzungen. Zum anderen kann ich gut mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Athleten umgehen. Ich weiß, wie ich sie anpacken kann. Das ist noch eine offene Zukunftsperspektive, das ist noch nicht abgeschlossen. Ich muss jetzt nach meiner aktiven Karriere erst einmal schauen, wie sich das mit meiner Familie und mit meinem Job verträgt.

Arthur, herzlichen Dank für das Gespräch.

Zur Per­son

Arthur Abele wurde am 30. Juli 1986 in Mutlangen geboren. Er ist ein ehemaliger deutscher Zehnkämpfer, der mehrmals an Europa- und Weltmeisterschaften sowie an den olympischen Spielen 2008 in Peking und 2016 in Rio teilnahm. Sein größter Erfolg war der Gewinn des Europameister-Titels 2018 in Berlin. Seine Bestleistung liegt bei 8605 Punkten, die er 2016 in Ratingen erzielte. Er wurde lange vom Bundestrainer Zehnkampf Christopher Hallmann beim SSV Ulm 1846 e.V. trainiert. Arthur Abele hält Vorträge zu Motivation und Zielen sowie den Parallelen zwischen Beruf und Leistungssport.

Bildnachweis
Foto: Arthur Abele |  Quelle: Iris Hensel (öffnet neues Fenster)