„Kla­re An­sa­gen sind manch­mal not­wen­dig, kei­ne Fra­ge, aber das geht auch mit Re­spekt.“

Podcast mit Katrin Albsteiger

Seit Mai 2020 ist Katrin Albsteiger Oberbürgermeisterin der Stadt Neu-Ulm und stellvertretende Vorsitzende der CSU. In der Stadtverwaltung Neu-Ulm führt sie 900 Mitarbeitende. Davor war sie Mitglied des Deutschen Bundestags (2013 bis 2017), Landesvorsitzende der Jungen Union Bayerns sowie bei E.ON und den Stadtwerken Ulm/Neu-Ulm tätig. Mit Barbara Brandstetter und Achim Weiand spricht sie über Führen einer Verwaltung und in der Politik und warum Gelassenheit wichtig ist.

Interviewserie: Führung: Wir reden mit.
Juli 2022

In­ter­view mit Kat­rin Alb­st­ei­ger

Frage: Frau Albsteiger, was macht es so besonders, eine Verwaltung zu führen?

Katrin Albsteiger: Ich würde sagen, dass es zunächst die Struktur der Mitarbeiterschaft ist. Diese besteht sowohl aus Angestellten als auch aus Beamten. Dabei handelt es sich rechtlich um unterschiedliche Anstellungsverhältnisse. Allerdings frage ich nicht, ob jemand Beamter oder Angestellter ist – jeder wird gleichbehandelt.

Frage: Verwaltung beruht auf Verordnungen und Gesetzen und produziert Verlässlichkeit in ihren Entscheidungen. Industrieunternehmen müssen oft schnell und unkonventionell reagieren?

Katrin Albsteiger: Das trifft zum Teil auch auf die Verwaltung zu. Wir haben sehr unterschiedliche Aufgabenfelder. Wenn man zum Beispiel die Felder Marketing, Pressearbeit oder Stadtentwicklung anschaut: In diesen Bereichen geht es um Kreativität und darum, schnell zu sein und Dinge auch anders zu denken. In der freien Wirtschaft würde ich genau das Gleiche von den Mitarbeitenden erwarten wie hier im Rathaus.

Aber es gibt natürlich auch Aufgabenfelder, die staatlich gesetzt und geregelt sind. Selbst wenn ich als politische Führung des Hauses und vielleicht auch der Stadtrat eine andere Meinung zu bestimmten Themen haben. Ich kann meine Mitarbeiter nicht anweisen, Gesetze und Verordnungen zu brechen oder an der einen oder anderen Stelle mal „ein Auge zuzudrücken“. Dementsprechend ist Führung an dieser Stelle vielleicht ein Stück weit eingegrenzt. Nichtdestotrotz ist auch in diesen Bereichen Führung notwendig. Schließlich kann es sein, dass von außen versucht wird, diese Mitarbeiter in ihrer Arbeit zu beeinflussen. In diesem Fall bedeutet Führung zum Beispiel, die Mitarbeitenden in ihrer Haltung zu stärken und ihnen den Rücken freizuhalten.

Frage: Was sind die Erwartungen Ihrer Mitarbeiter an Sie als Führungskraft?

Katrin Albsteiger: An dieser Stelle kann ich nur ein Stück weit spekulieren. Vertrauensvolles Miteinander ist eine Grundvoraussetzung – den anderen zu respektieren in seiner Tätigkeit und Fachlichkeit. Ich als Oberbürgermeisterin bin sowohl politische Führung des Hauses, aber natürlich auch Leiterin der Verwaltung. Allerdings bin ich keine ausgebildete Finanzfachwirtin oder Bauingenieurin und somit auf die Expertise meiner Mitarbeitenden angewiesen. Ich glaube, die Mitarbeiter erwarten von den Führenden eine Wertschätzung ihrer Expertise. Für mich bedeutet das, Einschätzungen der Mitarbeiter einzuholen und diese dann bei meinen Entscheidungen zu berücksichtigen. Mitarbeiter erwarten von Vorgesetzten sicher auch, dass sie sich Zeit nehmen und zur Verfügung stehen, wenn sie eine Rückmeldung benötigen.

Frage: Sie haben unterschiedliche politische Führungspositionen, unter anderem auch in Ihrer Partei. Worin unterschiedet sich hier Führung von der Führung einer Verwaltung?

Katrin Albsteiger: Im Rathaus handelt es sich im Wesentlichen um ein klassisches Mitarbeiter-Vorgesetzten-Verhältnis, bei dem jeder seine Rechte und Pflichten hat. Im Endeffekt ist es ein professionelles berufliches Verhältnis, bei dem man nicht einfach aussteigen kann. Ich bin mir sicher, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Job auch sehr gut machen würden, wenn jemand anderes den Posten der Oberbürgermeisterin innehätte.

Im ehrenamtlichen Bereich, zum Beispiel in der Politik, gibt es eine ganz andere Art der Motivation. Wenn jemand einer Partei beitritt und ein politisches Führungsamt übernimmt, dann ist das erstmal ein „Hobby“. Bringt man irgendwann nicht mehr die Leistung, die andere von einem erwarten, hat das keine lebensentscheidenden Konsequenzen. Schließlich verdient man mit diesem „Hobby“ nicht seinen Lebensunterhalt. Als Führungskraft ist man in diesem Fall auf das Wohlwollen derjenigen angewiesen, die einen freiwillig unterstützen und eine intrinsische Motivation haben, sich zu engagieren. Das ist ein großer Unterschied.

Frage: Wo haben Sie Führen gelernt?

Katrin Albsteiger: Es war eine Mischung aus Literatur, dem einen oder anderen Workshop, den ich schon zu Studienzeiten besucht habe, learning by doing und letztendlich auch durch das Beobachten von Vorgesetzten.

Frage: Was waren konkret Punkte, die Sie gelernt haben?

Katrin Albsteiger: Was mich persönlich immer zu Höchstleistungen angespornt hat, war ein verbindliches Führen mit möglichst großen Freiheiten. Das ist etwas, was mir unheimlich gelegen kommt. Ich selbst bin ein Mensch, der sich im freien Raum weiterentwickelt und „freier“ intensiver denken und auch bessere Lösungen erarbeiten kann. Das setzt natürlich auch das Vertrauen des Vorgesetzen voraus. Ich muss allerdings dazu sagen, dass Führen mit Freiheiten nicht jedermanns Sache ist.

Frage: Was sie beschreiben, heißt ja: Führungskräfte sind auch abhängig von ihren Mitarbeitenden, es ist kein einseitiges Machtverhältnis von „oben“ nach „unten“. Ihre Arbeitszeit als Führungskraft ist begrenzt, ebenso Ihre Möglichkeit, soziale Kontakte zu knüpfen und dadurch Informationen zu bekommen, sowie Ihre Fachexpertise. Von daher sind Sie angewiesen auf ihre Mitarbeitenden. Führen „von oben nach unten“ kommt schnell an seine Grenzen.

Katrin Albsteiger: Absolut, genauso ist es. Es ist nie eine Einbahnstraße. Führen kann nicht gelingen, wenn man der Einzige ist, der Führung lebt, aber letzten Endes kein Resonanzkörper dafür existiert. Die Mitarbeiter müssen natürlich bereit sein, dieses Führen zu akzeptieren. In diesem großen Haus mit 900 Mitarbeitern möchte ich allerdings nicht behaupten, dass man immer jeden erreicht. Deswegen gibt es Hierarchien. Ich bin nicht die alleinige Führung des Hauses, sondern es gibt die Führungsspitze, die aus den Stabstellen-Leitungen, den Dezernenten und den Abteilungsleitern besteht. Nicht zuletzt kommt der Stadtrat hinzu, der bei einigen Themen Entscheidungsrechte hat.

Frage: Wie wichtig es als Führungskraft eine Vorbildfunktion zu übernehmen?

Katrin Albsteiger: Ich glaube, das ist das A und O. Das hat etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun. Wir in der öffentlichen Verwaltung wirken natürlich erstmal innerhalb der Verwaltung untereinander. Das heißt, ich habe eine Vorbildfunktion für alle anderen Führungskräfte des Hauses. Ich wirke aber natürlich auch nach außen, denn die öffentliche Verwaltung hat mit ihren Kunden zu tun. Und ihre Kunden sind alle Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt, aber auch Touristen, Mitarbeiter von Unternehmen oder Unternehmer. Die nehmen alle wahr, was in dieser Stadt passiert und wie diese Stadt geführt wird.

Frage: Wie sind Sie denn als Führungskraft gestartet in Corona-Zeiten?

Katrin Albsteiger: Mein ursprünglicher Plan war, in der ersten Woche alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennenzulernen und von Büro zu Büro zu laufen. In meiner ersten Arbeitswoche war aber Lockdown und die Hälfte der Mitarbeitenden war gar nicht anwesend, sondern im Home-Office. Ich bin dann wenigstens im Rathaus von Büro zu Büro gelaufen, ohne hineinzugehen, so dass Abstände eingehalten wurden. Leider hatte man so keine Möglichkeit, herzlich aufeinander zuzugehen und sich richtig vorzustellen. Also habe ich dann auch E-Mails genutzt und Telefonate geführt.

Frage: Welche Ansprüche haben Sie an die eigenen Führungskräfte?

Katrin Albsteiger: Ich glaube, Respekt vor dem einzelnen Mitarbeiter oder der einzelnen Mitarbeiterin ist das Wesentliche. Alle müssen so behandelt werden, wie ich selbst auch behandelt werden möchte. In dieser Beziehung mache ich keinen Unterschied. Klare Ansagen sind manchmal notwendig, keine Frage, aber das geht auch mit Respekt.

Frage: Je höher man aufsteigt in einer Hierarchie, desto schwieriger wird es, ungefiltertes Feedback zu erhalten.

Katrin Albsteiger: Ja, das stimmt. Ich glaube, das ist gar nicht so einfach, weil selbst im direkten Austausch der einzelne Mitarbeiter sich gegebenenfalls sehr genau überlegt, was er der Chefin erzählt und was nicht. Die Mitarbeitenden müssen das Gefühl bekommen, dass sie keine Sanktionen für ehrliche Rückmeldungen erhalten – egal, was sie sagen. Dieses Vertrauen dem Vorgesetzten gegenüber zu schaffen, das braucht allerdings seine Zeit.

Frage: Kann Führung auch eine Last sein?

Katrin Albsteiger: Führung ist nicht nur Sonnenschein. Aber auch die Bewertung der „negativen“ Effekte ist typabhängig. Ich führe sehr gerne und ich glaube, das merkt man auch. Aber es gibt natürlich gerade im Personalbereich viele Themen, die sehr menschlich sind und die mich persönlich besonders mitnehmen. Fachthemen, wo es um Steine und um Euro geht, sind nie so belastend, wie wenn es um Menschen geht.

Frage: Haben Sie Tipps für angehende Führungskräfte?

Katrin Albsteiger: Gelassenheit in der Führung ist enorm wichtig. Jeder macht Fehler, auch die Führungskraft selbst. Dieses Wissen und dieses Bewusstsein entspannen enorm. Das möchte ich auch meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mitgeben „Es kann immer etwas passieren, aber es muss gemeldet werden.“ Wenn man diese Gelassenheit gegenüber Fehlern nicht hat, dann kommen Wut, Ärger und Unverständnis auf – und das kann nicht gutgehen. Diese Gefühle nimmt man dann als Führungskraft mit nach Hause, man kann nicht abschalten, nicht schlafen und hat mitunter mit chronischen Auswirkungen zu kämpfen. Relevant wäre auch noch eine Verbindlichkeit auf beiden Seiten. Ich würde zudem neuen und jungen Führungskräften empfehlen, sich eine Person zu suchen, mit der sie sich über Führungsthemen vertraulich austauschen können.

Frau Albsteiger, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Per­son

Katrin Albsteiger ist seit Mai 2020 Oberbürgermeisterin von Neu-Ulm. Seit 2021 gehört sie als Vizevorsitzende dem Präsidium der CSU an. Von 2013 bis 2017 war Albsteiger Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 2008 war sie Mitglied des Gemeinderats in Elchingen und seit 2014 Stadträtin in Neu-Ulm sowie Mitglied des Kreistags Neu-Ulm.