„Füh­rungs­leis­tung wird deut­lich we­ni­ger ein­ge­for­dert, wenn es ein kla­res Ziel für al­le gib­t“

Interview mit Stefan Hell

Stefan Hell (56) ist seit 2013 bei der Volksbank Ulm-Biberach als stv. Vorstandssprecher zuständig für die Produktion und Steuerung – und verantwortet damit auch den Bereich Personal. In seinem Ressort arbeiten aktuell 159 Mitarbeiter.  Insgesamt zählt die Bank 513 Mitarbeiter - 193 Männer und 320 Frauen, davon 30 Auszubildende. Die Teilzeitquote liegt bei 38 Prozent, die Betriebszugehörigkeit liegt im Schnitt bei 17,8 Jahren. Mit Barbara Brandstetter und Achim Weiand spricht er über die Rolle der Persönlichkeit und warum Führung eine nie enden wollende Lernschleife ist.

Interviewserie: Führung: Wir reden mit.
Dezember 2022

In­ter­view mit Ste­fan Hell

Frage: Was unterscheidet Führung in einer Bank zu anderen Unternehmen?

Stefan Hell: Die Veränderungen bei Banken haben in den vergangenen Jahren deutlich an Dynamik gewonnen. Wir haben einen hohen Qualitätsanspruch an unsere Mitarbeitenden. Uns ist wichtig, dass wir unser Wissen immer wieder aktualisieren und dass unsere Mitarbeiter in ihren Verantwortungsbereichen ein sehr gutes Fachwissen mitbringen.

Wir als Führungskräfte haben die Verantwortung, die Veränderungsbereitschaft aller Mitarbeitenden zu fördern und diese entsprechend zu schulen. Wir stellen als Arbeitgeber insgesamt 500.000 Euro im Jahr für die Entwicklung unserer Mitarbeiter bereit.

Frage: Welche Möglichkeiten haben Sie als Vorstand, Einfluss zu nehmen auf Führung in Ihrem Unternehmen?

Stefan Hell: Es braucht ein Vorleben von Führung, das authentisch ist. Es ist ungut, Dinge von anderen zu verlangen, die man als Führungskraft nicht vorlebt. Das wird dann über kurz oder lang Irritationen auslösen. Über das Vorleben hinaus ist es aber auch wichtig, strukturelle Impulse zu geben. Wir haben in unserem Haus verschiedene Instrumente wie etwa Personalentwicklungsgespräche, Zielvereinbarungen oder Leistungsprämien implementiert, die einen Führungsrahmen bieten. Führung selbst wird von Individuen gelebt. Und da gibt es unterschiedliche Charaktere und Verständnisse von Führung. Deswegen ist es sicherlich auch eine der wichtigsten Einflussnahmen, die richtigen Menschen für die Führungsmannschaft zu gewinnen.

Frage: Welche Kompetenzen braucht bei Ihnen in der Volksbank eine Führungskraft?

Stefan Hell: Ganz vorne stehen immer noch die fachliche Eignung und das fachliche Wissen, da ansonsten die Akzeptanz einer Führungskraft bei den Mitarbeitern endlich ist. Allerdings ist ein sehr guter Firmenkundenberater noch lange keine gute Führungskraft. Führung beinhaltet mehr Bausteine als die rein fachliche Kompetenz.

Wir legen sehr viel Wert auf die Persönlichkeit des Menschen. Das beginnt mit der Herkunft. Für uns ist deutlich erkennbar, dass Menschen, die beispielsweise aus einer Familie von Selbständigen kommen, eine positive Haltung zu Führung und Verantwortung haben und ein besonderes Engagement mitbringen. Das hängt auch zusammen mit Werte-Welten, Erziehung oder eigenen Erfahrungen mit Führung. Wir meinen schon, die Menschen zu erkennen, die diese Grundstruktur mitbringen. Und diese Menschen gilt es dann weiterzuentwickeln. Denn Führung ist sicherlich etwas, das teilweise erlernbar ist - sofern man es gut begleitet und die Grundstrukturen vorhanden sind.

Frage: Grundstrukturen wären für Sie dann Empathie oder soziale Kompetenzen?

Stefan Hell: Das Allerwichtigste ist sicherlich, dass jemand Menschen mag. Eine Führungskraft, die sich nicht wohl fühlt unter Menschen, wird das nicht lange gut machen können. Menschen sind deutlich leistungsfähiger, wenn sie sich wohlfühlen und das gilt auch für Führungskräfte. Folgerichtig sollte eine Führungskraft ihren Mitarbeitern einen Rahmen bieten, in dem sie sich wohlfühlen können. Und das ist zugegebenermaßen schwierig, weil alle Menschen unterschiedlich sind. Empathie ist möglicherweise auch einer dieser Bausteine. Wenn Sie beispielsweise in einen Besprechungsraum kommen und merken, dass da gerade etwas vorgefallen ist, dann sollten Sie es als Führungskraft ansprechen. Wenn Menschen gerne zur Arbeit kommen und Freude an der Arbeit haben, dann ist der größtmögliche Erfolg möglich.

Frage: Führungskräfte sind auch abhängig von ihren Mitarbeitern: Wenn kein gutes Verhältnis vorhanden ist zwischen Mitarbeitern und Führungskraft, dann ist eine Führungskraft mehr oder weniger machtlos. Es gibt allerdings auch Führungskräfte, die das nicht so sehen, sondern sagen „Ich bin der Chef und sage, wo es langgeht.“

Stefan Hell: Was Sie ansprechen, sind sehr unterschiedliche Arten von Führung. Unsere Immobilienvermittler beispielsweise sind den ganzen Tag kaum im Büro und arbeiten mehr oder weniger selbstständig. Diese Mitarbeiter benötigen eine ganz andere Art der Führung als Mitarbeiter, mit denen man acht Stunden am Tag in direktem Kontakt steht.

Ein weiterer Fakt ist zudem, dass es auch unterschiedliche Führungsstile gibt. Es gibt noch Führungskräfte mit eher klassischen Einstellungen wie „Ich bin der Chef und wo ich stehe, ist vorne“ oder „Wozu brauchen wir Home-Office?“. Das führt dazu, dass gerade junge Mitarbeitende sich mehr und mehr von diesen Führungskräften abwenden. Wenn Sie dann als Vorstand entdecken, dass die Fluktuationen aus einer Abteilung in andere Abteilungen sehr hoch sind, haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder Sie akzeptieren das oder Sie verändern die Führungskraft. Beim Verändern der Führungskraft gibt es auch wieder zwei Wege: Sie bilden die Führungskraft in ihrer Persönlichkeit weiter oder Sie nutzen die Situation, um eine andere Führungskraft für diese Position zu finden.

Frage: Sie haben es gerade angesprochen: Menschen haben unterschiedliche Erwartungen an Führung. Wie bringt man das als Führungskraft zusammen?

Stefan Hell: Das ist tatsächlich ein Spagat und eine große Herausforderung. Ich glaube, es gab noch nie so unterschiedliche Typen von Mitarbeitenden in einzelnen Teams. Auf diese muss man sich mit Empathie einlassen. So benötigt vielleicht ein älterer Mitarbeiter mehr präzise Ansagen. Einen 20- oder 25-jährigen Mitarbeiter müsste man eher fragen, was ihm bei der Arbeit helfen würde. Gemischte Projektteams sind meiner Meinung nach besonders wertvoll, weil sie verschiedene Blickwinkel bedienen. Bei unseren Kunden sind ja auch alle Altersgruppen vertreten. Für Führung heißt das aber, sich sehr individuell auf das Gegenüber einzustellen.

Frage: Wie hat Corona bei Ihnen in der Bank Führung verändert?

Stefan Hell: Corona hat Führung teilweise komplett verändert. Glücklicherweise hatten wir zwei Jahre zuvor mit einem Projekt begonnen, dass das Arbeiten zu Hause technisch ermöglichen sollte. Deshalb hatten wir in relativ kurzer Zeit die Möglichkeit, etwa die Hälfte der Mitarbeiter komplett mit dieser Technik auszustatten, sodass sie von Zuhause arbeiten konnten.

In einer rein digitalen Kooperations-Welt sind aber das Knistern im Besprechungsraum oder andere Schwingungen zwischen den Mitarbeitern nicht erkennbar. Zudem müssen Führungskräfte damit leben, dass ein Drittel der Mitarbeiter zu Hause und die anderen Mitarbeiter an zwei Standorten verteilt sind. Wir mussten daher auch die Führungskräfte-Entwicklung umstellen und hybrides Führen als neues Thema aufnehmen. Dazu gehört etwa auch, dass eine Führungskraft bereits vor einer Telefon- oder Video-Konferenz zum Telefonhörer greift und reihum alle Mitarbeiter anruft und sich um sie kümmert. Es gibt mittlerweile oft ein gemeinsames Video-Kaffeetrinken. Wir messen Produktivität und die ist in der digitalen Arbeit nicht gesunken. Dies betrifft aber nur die Stückzahlen, nicht das Miteinander. Deshalb halten wir es derzeit für problematisch, Mitarbeiter komplett vom Home-Office aus arbeiten zu lassen.

Frage: Corona wird nicht irgendwann komplett vorbei sein, sodass hybride Führung ein Dauerthema bleiben wird. Das zufällige Treffen am Kaffeeautomaten und der Austausch wird wegfallen.

Stefan Hell: Der soziale Kontakt fällt teilweise weg, dieser ist aber die Grundlage das Wohlfühlen und damit für den gemeinsamen Erfolg. Mitarbeiter, die oft abgekoppelt waren durch Home-Office, haben genau nach diesem sozialen Kontakt gefragt. Bei Präsenzbesprechungen war man in der Regel etwas früher da, um den persönlichen Austausch zu pflegen. Wie geht das bei Online-Besprechungen? Es kam ein neuer erster Tagesordnungspunkt hinzu: privater Austausch. Wir haben festgestellt, dass das auch geht – auch wenn es nur ein Ersatz ist. Der soziale und unmittelbare Kontakt ist wichtig, weshalb es bei uns derzeit die Regelung als Standard gibt, dass Flex-Office zu Hause an zwei Tagen pro Arbeitswoche vorgesehen ist. Wir wollen, dass Menschen auch immer wieder gleichzeitig vor Ort sind, auch um sich ungezwungen mit den Kollegen austauschen zu können.

Frage: Wo haben Sie Führung gelernt?

Stefan Hell: Ich nehme gerne das Beispiel des Reitens, obwohl ich das selber nicht beherrsche. Ich glaube, wenn Sie über das Reiten viele Bücher lesen, dann haben Sie zwar viele theoretischen Kenntnisse. Das wird Ihnen aber wenig nützen, wenn Sie das erste Mal auf dem Pferd sitzen. Ähnlich ist es mit Führung. Führen lernen kann man nur über Führen selbst. Zur Vorbereitung auf Führung gehören Seminare, Bücher sowie das Wissen über Führungs-Werkzeuge. Die Befähigung zu Führung beginnt aber viel früher bei der Erziehung, im Kindergarten oder im Umgang mit Freunden. Dort fängt die Persönlichkeitsentwicklung an. Und die ist ein großer Baustein von Führung. Führen zu lernen geht eigentlich nur über die eigenen Führungs-Erfahrungen, die man immer wieder kritisch reflektieren und hinterfragen muss. Dazu gehört auch der permanente Austausch mit anderen Führungskräften. Also eine nie enden wollende Lernschleife.

Frage: Sie sagen, dass geeignetes Rüstzeug für Führung wichtig ist. Dazu gibt es den alten Spruch: „Wenn man nur einen Hammer hat, dann wird jedes Problem zum Nagel.“ Also benötigt man ein großes Arsenal an Führungswerkzeugen, nur dann kann man situationsadäquat reagieren.

Stefan Hell: Da würde ich gerne mit Antoine de Saint-Exupéry antworten, der sagte: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Das passt auch auf Führung sehr gut. Es stimmt natürlich, dass Sie in ihrem Führungs-Werkzeugkoffer mehr als nur einen Hammer brauchen. Fakt ist aber: Führungsleistung wird deutlich weniger eingefordert, wenn es ein klares Ziel für alle gibt. Ist diese Klarheit gegeben und das Ziel akzeptiert, dann tragen die meisten Mitarbeiter sehr gerne ihren Teil dazu bei. Über diese Zielklarheit und Akzeptanz entsteht sehr viel Motivation, sodass man als Führungskraft viel von diesem Führungs-Werkzeugkoffer gar nicht braucht.

Frage: Wie wichtig sind regelmäßige Standortbestimmungen einer Führungskraft? Was würden Sie Führungskräften raten?

Stefan Hell: Ich glaube, dass es gut ist, wenn man im Umgang zwischen Führungskraft und Mitarbeitern eine starke Vertrauensbasis entwickelt. Deshalb sind auch Feedback und eine Feedback-Kultur ganz wichtig. Es kann durchaus zunächst schmerzlich sein, sich das eine oder andere anhören zu müssen. Als Führungskraft muss man lernen, damit umzugehen. Aber es ist eine der schönsten Chancen, die man hat, um sich weiterzuentwickeln. Es sollte selbstverständlich sein, Dinge sofort anzusprechen, gemeinsam darauf zu schauen und somit allen die Chance zu geben, sich ständig zu verbessern.

Frage: Jetzt verfügen Sie als Vorstand über Macht. Deshalb wäre ich als Mitarbeiter vorsichtig mit dem, was ich Ihnen sage.

Stefan Hell: Es ist definitiv so, dass es diese Machtdistanz gibt. Man kann als Führungskraft aber durch einen vertrauensvollen Umgang miteinander die Chance erhöhen, offenes Feedback zu erhalten. Dieses Vertrauen bildet sich nur langsam. Wenn man neu ist in einer Führungsverantwortung, dann wird schon mal von den Mitarbeitern der Versuch gestartet, etwas Kritischeres zu sagen. Die Frage ist, welche Reaktion jetzt von Ihnen als Führungskraft kommt. Wenn Sie das wertschätzend annehmen und sich für die Offenheit Ihnen gegenüber bedanken, dann hilft das sukzessive beim Aufbauen von Vertrauen und dem Etablieren einer Feedback-Kultur. Feedback für die Vorstände unserer Bank gibt es nicht nur aus der Reihe der Mitarbeiter. Wir haben unsere Aufsichtsräte als Vorgesetzte, die uns immer wieder in Gespräche bitten. In der Summe hat man auch als Vorstand die Chance zu erfahren, wie man gesehen wird von den Mitarbeitern.

Frage: Hätten sie noch einen Tipp für Nachwuchsführungskräfte?

Stefan Hell: Ich glaube, es ist ganz wichtig, genau hinzuschauen und lernen zu wollen. Wichtig ist aber auch, aus all dem Mitgegebenen seinen eigenen Stil zu entwickeln. Dafür sollte man sich ein bisschen Zeit und Geduld nehmen. Es gibt wichtige Werte, die am Ende das Miteinander ausmachen. Das hat etwas mit Wertschätzung, Vertrauen und Fairness zu tun. Wenn Sie bei allem so handeln, wie Sie selbst von Ihrem Vorgesetzten behandelt werden wollen, dann werden Sie sehr erfolgreich in der Führung sein.

Herr Hell, vielen Dank für das Interview.

Zur Per­son

Stefan Hell ist diplomierter Bankbetriebswirt. Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der VR Bank Kitzingen eG und seinem Management-Studium an der Bankakademie Frankfurt/Main war er bei der VR Bank Kitzingen, der Renault Crédit International Banque Deutschland, der Sparkasse Ulm und zuletzt als Kreditdirektor und stellvertretendes Vorstandsmitglied bei der Sparkasse Neumarkt-Parsberg tätig.