„Frau­en brin­gen ei­nen an­de­ren Blick ein.“

Interview mit Karin Bernhard

Von August 2009 bis Mai 2023 war Karin Bernhard Frauenbeauftragte bei der Sparkasse Saarbrücken. Vor der Übernahme dieser Aufgabe war Frau Bernhard zehn Jahre Führungskraft mit ca. 60 Mitarbeitern innerhalb der Sparkassenorganisation. Sie spricht über Führung und die Rolle der Frauenbeauftragten in Führungsthemen mit Achim Weiand und Rupert Bardens.

Interviewserie: Führung: Wir reden mit.
Juli 2023

In­ter­view mit Ka­rin Bern­hard

Frage: Sehr geehrte Frau Bernhard, schön, dass wir heute mit Ihnen über Führung aus der Perspektive einer Frauenbeauftragten sprechen können. Bitte erläutern Sie zu Beginn kurz die Aufgaben der Frauenbeauftragten nach dem Landesgleichstellungsgesetz des Saarlandes.

Karin Bernhard: Im Landesgleichstellungsgesetz des Saarlandes gibt es aus meiner Sicht – neben vielen anderen wichtigen Paragrafen – eine zentrale Aussage: „Die Frauenbeauftragte ist bei allen personellen, sozialen und organisatorischen Maßnahmen der Dienststelle vollumfänglich und bereits an der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Sie hat ein Recht auf Auskunft und Akteneinsicht in allen mit ihren Aufgaben in Zusammenhang stehenden Angelegenheiten.“ Diese Formulierung verdeutlicht die Vielfalt der Einbindung der Frauenbeauftragten, eben bei allen personellen Maßnahmen wie Einstellungen, Versetzungen, Eingruppierungen, aber auch darüber hinaus. Sie führt auch die Notwendigkeit der Vernetzung in der Organisation vor Augen, da die Frauenbeauftragte bei einer Vielzahl von Projekten, Lenkungsausschüssen und anderen Entscheidungsfindungen zu beteiligen ist.

Frage: Mit dem genannten Aufgabenspektrum greift die Frauenbeauftragte direkt im Führungsalltag ein. Damit sind Konflikte wahrscheinlich vorprogrammiert.

Karin Bernhard: Diese Konflikte gab und gibt es auch. Es gab Beschwerden von Mitarbeiterinnen zu Beurteilungen, zu Aufgabenverteilungen, zur Kommunikation usw. Und diese Themen hatte ich dann mit meinen früheren Führungskräfte-Kollegen zu besprechen, wenn ich dazu von den Mitarbeiterinnen beauftragt war. Es bedurfte immer des grünen Lichts der Mitarbeiterin, das Thema anzusprechen. Hatte ich dieses Mandat, habe ich mich als „Anwältin der Kollegin“ gesehen.

Danach habe ich überlegt, welcher Weg der Richtige ist: Gehe ich allein zu der Führungskraft oder führen wir das Gespräch direkt zu dritt. Hier hängt es von den Personen und den Themen ab, welcher erste Schritt geeignet erscheint. Das Reaktionsspektrum der Führungskräfte war vielfältig. Es gab Einzelfälle, in denen Führungskräfte pikiert waren, nicht direkt von der Mitarbeiterin angesprochen zu werden. Oder es wurde insbesondere in den ersten Jahren meiner Tätigkeit als Frauenbeauftragten auch mal bezweifelt, dass das Ansprechen eines Themas in meine Zuständigkeit als Frauenbeauftragte fällt.

Insofern „ja“: Konflikte sind vorprogrammiert. Und manchmal wird aus dem Konflikt auch ein Kampf. Ich weiß aus den Netzwerken der Frauenbeauftragten im Saarland, dass dies aber in nahezu allen Organisationen so ist.

Frage: Wurden Sie als Frauenbeauftragte auch von Führungskräften gebeten, mit weiblichen Mitarbeitern zu reden, wenn es Führungskonflikte gab? Das heißt, haben Führungskräfte Sie als Partnerin in der Führung gesehen, in der Hoffnung, dass Sie vielleicht den besseren Zugang zu der Mitarbeiterin finden.

Karin Bernhard: Solche Situationen gab es auch. Auch das ist immer ein Abwägungsprozess. In der Regel konnte ich helfen. Oft lag es an der Kommunikation, an einem Aneinander-Vorbei-Reden. Oder es lag an krankheitsbedingten Themen, die die Leistung beeinflussten. Hier hatten vereinzelt die Kolleginnen das Problem, mit der Situation einen guten Umgang zu finden und dies anzusprechen. Aber auch diese Themen waren, gegebenenfalls zusammen mit dem Personalbereich, gut lösbar.

Frage: Als Frauenbeauftragte wurden Sie oft kontaktiert, wenn es Probleme in der Führung gab. Probleme bei und mit Führungskräften, die schon lange führten und von sich glaubten, gut zu führen. Wie kann eine Frauenbeauftragte in solchen Situationen in Führung eingreifen und Führung verändern? Und was hilft ihr dabei? Sind es Gesetze oder die Rückendeckung des Vorstandes?

Karin Bernhard: Mir hat enorm geholfen, dass ich zuvor selbst viele Jahre Führungskraft im Kreditgeschäft mit rund 60 Mitarbeitenden gewesen bin. In dieser Führungsaufgabe gab es viele personelle und organisatorische Veränderungen, die ich erfolgreich gemanagt habe. Aus dieser Führungsaufgabe bin ich in die Rolle der Frauenbeauftragten gewechselt. Das war ein großer Vorteil. Aus meiner bisherigen Führungsaufgabe war ich es gewohnt, Konflikte mit anderen Führungskräften zu lösen, beispielsweise wenn Sicherheiten für Kredite nicht ausreichten oder Verträge so nicht umsetzbar waren.

Früher hatten wir noch vereinzelt noch Führungskräfte, die nach „Gutsherrenart“ geführt haben. Sie hatten ihre eigenen Regeln und ihr spezielles Verständnis von Führung. Dieses Verhalten wurde immer weniger toleriert und das gibt es in unserer Organisation heute nicht mehr. Instrumente wie Dienstvereinbarungen, Qualitätsaudits oder umfassende Bewertungen sowie Mitarbeiterbefragungen lassen keinen Raum mehr, sich von den Unternehmensregeln und -standards abzukoppeln. Die Organisation hat durch diese Instrumente den Raum für eigenwilliges Führungshandeln deutlich eingegrenzt. Und der Vorstand überwacht auch das Verhalten der Führungskräfte. Das ist eine wichtige Grundlage, auf Führungsverhalten Einfluss zu nehmen und erwünschtes Verhalten einzufordern. Als Frauenbeauftragte konnte ich somit auch darauf achten, dass die Unternehmensregeln eingehalten werden.

Frage: Wie hat sich Führung aus Ihrer Wahrnehmung verändert?

Karin Bernhard: Das Führen auf Distanz ist für mich die grundlegendste Veränderung in der Führung. Wir hatten im Laufe der Zeit immer mehr Führungskräfte, die Mitarbeiter an mehreren Standorten führten. Da ist ein Führen, das ausschließlich auf „Auge-in-Auge-Gesprächen“ basiert, nicht mehr möglich. Man kann nicht mehr einfach ins Zimmer nebenan oder jemanden rufen, man muss Telefon-Termine oder Videokonferenzen abmachen. Das macht Kommunikation und speziell Führung schwieriger. Dazu kam die Herausforderung durch Corona. Hier waren wir gut gerüstet, da wir bereits im Vorfeld unsere Führungskräfte auf dieses Thema, das Führen auf Distanz, durch Seminare vorbereitet hatten. Zudem hatten wir glücklicherweise ein dreiviertel Jahr vor Corona eine Dienstvereinbarung zu mobilem Arbeiten abgeschlossen, die sich in der Corona-Krise als sehr nützlich erwiesen hat. Man muss aber hinzufügen, dass wir als Sparkasse viele Büroarbeitsplätze haben, so dass die Umstellung auf mobiles Arbeiten einfacher war als beispielsweise bei Industrieunternehmen.

Frage: Wo liegt Ihrer Meinung nach der größte Nutzen der Förderung von Frauen in Unternehmen? Oder ist es „nur“ ein Gerechtigkeitsaspekt?

Karin Bernhard: Der größte Nutzen liegt meiner Meinung nach in der Leistungsfähigkeit der Organisation. Frauen bringen andere Denk-, Sicht- und Verhaltensweisen ein. Das gilt für Managementteams, für Projekte, für Aufsichtsräte usw. Aus meiner Sicht waren die erfolgreichsten Teams diejenigen, die personell am vielfältigsten besetzt waren. Das gilt jetzt nicht nur für Männer und Frauen, sondern auch für das Lebensalter, die Berufserfahrung und andere soziale Merkmale. Es ist also nicht ausschließlich ein Aspekt von Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Auch die Organisation profitiert aus meiner Sicht sehr deutlich von der Förderung der Frauen.

Frage: Gab es in Ihrer Organisation gezielte Aktivitäten, um Frauen in Führungspositionen zu bringen?

Karin Bernhard: Sicher, zum Beispiel durch direkte Ansprachen durch den Vorstand, den Personalbereich oder durch mich, wenn wir gesehen haben, dass es eine engagierte, fachlich gut qualifizierte und motivierte Frau gab. Das Personalentwicklungs-Konzept der Sparkasse setzt allerdings voraus, dass man sich eigenverantwortlich weiterbildet, sich also für Seminare selbst anmeldet und angibt, in welche Richtung man sich weiterentwickeln möchte. Die Sparkasse erwartet hier ein hohes Maß an Eigeninitiative.

Ich selbst habe einmal eine sehr gute Sachbearbeiterin angesprochen wegen einer offenen Teamleiter-Position, für die sie aus meiner Sicht sehr geeignet gewesen wäre. Beim Gespräch stellte sich allerdings heraus, dass sie andere Zukunftspläne hatte, ihre Arbeitszeit auf 80 Prozent reduzieren und gerne an ihrem damaligen Arbeitsplatz bleiben wollte.

Kinderbetreuung war hier kein Thema. Leider ist es aktuell aber auch so, dass wir in unserem Geschäftsgebiet ein großes Problem mit fehlenden Kinderbetreuungsplätzen haben, so dass bei Familien mit kleinen Kindern die Betreuung oft bei der Frau hängen bleibt, so dass diese leider zwangsläufig beruflich kürzertritt. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, dass die jungen Mütter „ausbaden“ müssen. Wir als Sparkasse können dieses Problem nicht lösen, wir bieten aber deswegen gezielt Teilzeit-Stellen an, auch in Führungspositionen. Dieses Konzept nennen wir Top-Sharing, wenn sich zwei Personen eine Führungsposition teilen. Wichtig für uns war bei der Konzeption dieses Top-Sharings, dass beide Teilzeit-Führungskräfte Möglichkeiten haben, sich untereinander abzusprechen. Das bedeutet dann konkret, dass diese Stelle mit mehr als 100 Prozent eingeplant werden muss, beispielsweise 60 % für beide Führungskräfte. Die Bandbreite dessen, was die Sparkasse an Möglichkeiten auch zum Thema Arbeitszeitmodelle anbietet, ist schon recht groß.

Frage: Wo wünschen sich denn Frauen, dass sie anders behandelt werden als Männer? Und wo möchten sie genauso behandelt werden wie Männer?

Karin Bernhard: Das ist unglaublich diffizil und es ist schwierig, hierzu eine allgemeingültige Antwort zu formulieren. Frauen wollen bestimmt gleich behandelt und bewertet werden, was ihre Leistung betrifft. Aber biologisch gibt es eben große Unterschiede. So gab es bei uns in der Sparkasse eine große Diskussion unter jüngeren Kolleginnen, als in Spanien als erstem Land in Europa die gesetzliche Möglichkeit geschaffen wurde, bei starken Regelbeschwerden eine offizielle Krankschreibung mit Lohnfortzahlung zu erhalten. Das ist eine große Erleichterung für viele Frauen, die sich bei starken Regelschmerzen zur Arbeit schleppen. Das ist ein frauenspezifisches Thema und wird es auch bleiben und sollte auch berücksichtigt werden. Frauen bleiben nach Schwangerschaften länger zu Hause und fehlen am Arbeitsplatz – da sollte niemand von den Kollegen und Kolleginnen fragen „Warum bleibt die denn so lange weg von der Arbeit?“

Was mir noch auffällt und was mir auch von anderen Unternehmen berichtet wurde: Bei Frauen wird von anderen öfters das Äußere diskutiert: Das Sommerkleid, die Frisur… – Themen, die so an Männern von Männern nicht diskutiert werden.

Frage: Wie wichtig ist denn die Vorbildfunktion einer Führungskraft?

Karin Bernhard: Die Vorbildfunktion einer Führungskraft ist aus meiner Sicht sehr wichtig. Ich kann nicht von meinen Mitarbeitenden verlangen, dass sie sich beispielsweise an Leitlinien halten und es selbst nicht tun. Wenn alle Mitarbeiter maximal drei Wochen Urlaub am Stück nehmen dürfen im Sommer, dann kann ich als Führungskraft nicht vier Wochen Urlaub nehmen, das passt nicht. Und wenn der Vorstand Führungs-Leitlinien für das Haus in Kraft setzt, dann wird er von den Mitarbeitenden zu Recht daran gemessen, ob er sich selbst daran hält. Und das ist auch so, wenn ich die Führungs-Kaskade weiter nach unten gehe. Was diese wichtige Vorbildfunktion betrifft, gibt es keinen Unterschied bei den männlichen und weiblichen Führungskräften.

Frage: Haben Sie noch etwas, von dem Sie sagen, dass es wichtig ist zu unserem Thema „Führung“?

Karin Bernhard: Ja, das habe ich. In Ihren bisherigen Interviews wurde ja zu Recht die Bedeutung von Fachkompetenzen, sozialen Kompetenzen und insbesondere die Vorbildfunktion für Führungskräfte betont. Was ich persönlich aber auch wichtig finde, ist Humor. Spaß-freie Zonen haben mir nie gefallen. Man setzt sich auch in der Kantine zu Menschen, die man mag, wo die Sympathie passt und wo man gemeinsam lachen kann. Es ist schön und entspannend, wenn die Menschen auch über etwas gemeinsam lachen können.

Sehr geehrte Frau Bernhard, vielen Dank für dieses interessante Gespräch.

Zur Per­son

Karin Bernhard war fast 44 Jahre bei der Sparkasse Saarbrücken beschäftigt, davon 10 Jahre als Abteilungsleiterin im Kreditgeschäft und fast 14 Jahre als freigestellte Frauenbeauftragte. Zuvor war sie 20 Jahre im Personalrat und fast 30 Jahre insgesamt im Verwaltungsrat aktiv. Sie kennt die Sparkasse also als Mitarbeiterin, Führungskraft und „Kontrolleurin“ als Frauenbeauftragte und Aufsichtsratsmitglied über die Jahre hinweg in allen Facetten. Die Sparkasse Saarbrücken mit einer Bilanzsumme von rd. 8 Milliarden Euro und 1100 Mitarbeitenden ist die größte Sparkasse im Saarland und im südwestdeutschen Raum.