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"Nur ein gut kon­zi­pier­tes In­ter­view ist ein gu­tes In­ter­view": Di­gi­ta­les Re­cruit­ing und vir­tu­el­le Vor­stel­lungs­ge­sprä­che in Zei­ten des Fach­kräf­te­man­gels

27.01.2023, Nach­ge­forscht :

Mit den richtigen Auswahlinstrumenten den passenden Bewerber oder die passende Bewerberin für eine Stelle finden: In Zeiten des Fachkräftemangels, angesichts der digitalen Transformation und nach mehr als zwei Jahren Coronapandemie scheint diese Aufgabe drängender und gleichzeitig komplexer denn je zu sein.
Prof. Dr. Johannes Basch, seit diesem Semester Professor für Wirtschaftspsychologie an der HNU und ein „echter Fan des Vorstellungsgesprächs“, forscht seit vielen Jahren zu den Erfolgsfaktoren von Personaldiagnostik und weiß, worauf es ankommt.

Die Frage zum Einstieg: Lässt sich die berufliche Leistung eines Bewerbers oder einer Bewerberin eigentlich überhaupt vorhersagen – und wenn ja, wie? „Grundsätzlich ja, aber nie zu 100 Prozent“, sagt Prof. Dr. Johannes Basch. Denn: Zum einen steckt immer der Faktor Mensch dahinter, zum anderen gilt es eine Reihe an Umwelteinflüssen zu bedenken, die dazu führen können, dass sich eine auf Basis von psychometrischen Methoden getroffene Eignungsdiagnose INFOBOX im Nachhinein nicht bewahrheitet. „Die spätere Arbeitsleistung lässt sich grundsätzlich recht gut prognostizieren – aber nur dann, wenn Verfahren auch sinnvoll konzipiert und auf die Anforderungen des späteren Jobs angepasst sind“, erklärt der Professor, der sich selbst als „ein echter Fan des Vorstellungsgesprächs“ beschreibt. „Suche ich beispielsweise eine Fachkraft, die im Postzentrum Pakete stapelt, könnte nicht das klassische Vorstellungsgespräch, sondern eine Arbeitsprobe das Instrument der Wahl sein“. 

Unser Gesprächspartner ist seit dem Wintersemester 2022/23 Professor für Wirtschaftspsychologie an der HNU. Er lehrt und forscht u.a. zur Digitalisierung und Gamifizierung von Personalauswahlprozessen.  

Zum Porträt auf dem HNU-Wissenschaftsblog 

[1]  „Im Vorstellungsgespräch kann es menscheln“

Welches Auswahlverfahren oder welches Interviewmedium das richtige für ein bestimmtes Anforderungsprofil ist – das ist letztlich die Gretchenfrage des Forschungsfeldes, dem sich Prof. Dr. Basch beruflich verschrieben hat. „Kurz gesagt: In meiner Arbeit geht es darum, mithilfe der richtigen Verfahren die Eignung von Bewerbenden für einen bestimmten Job herauszufinden – ohne sie dabei zu vergraulen“. Die Begeisterung für diesen besonderen Bereich der Psychologie begleitete den Wissenschaftler von seinem Bachelorstudium, in dem er Intelligenztests in der Personalauswahl untersuchte, über seine Promotion, in der er digitale Vorstellungsgesprächen erforschte, bis heute in seiner Tätigkeit als Professor für Wirtschaftspsychologie. „In Vorstellungsgesprächen kann es menscheln, sowohl seitens der Bewerbenden wie auch der Interviewenden. Am Ende des Tages ist jedes Jobinterview eine soziale Situation – und ich habe mich der Psychologie verschrieben, weil mich diese Zusammenhänge und das Zusammenspiel von Menschen so interessieren“. 
Vorstellungsgespräche sind, so konstatiert er, ein hervorragendes Instrument in der Personalauswahl. Das liegt zum einen daran, dass sie unter allen Auswahlerfahren wohl am besten erforscht sind; allein schon deshalb, weil beinahe jedes Unternehmen auf sie zurückgreift. Zum anderen sind Vorstellungsgespräche nicht nur bei Unternehmen beliebt, sondern kommen auch bei den Bewerbenden gut an. „So hat man schon einmal persönlichen Kontakt, Unternehmen wie auch Bewerbende können sich selbst gut präsentieren und im Idealfall gibt es einen hohen Tätigkeitsbezug“, fasst Prof. Dr. Basch zusammen.

Die Psychometrie widmet sich dem Erfassen und Messen psychologischer Merkmale, beispielsweiser einzelner Persönlichkeitseigenschaften. Davon können wiederum bestimmte Verfahren der Personaldiagnostik (auch: Eignungsdiagnostik) profitieren, die dazu dient, (potenzielle) Mitarbeitende in ihrer Persönlichkeit und ihren Kompetenzen zu erfassen und zu beurteilen. 

Ein strukturiertes und standardisiertes Vorstellungsgespräch wird anhand eines vorher festgelegten Schemas durchgeführt. Dabei werden die Fragen, die alle Bewerbenden in derselben Reihenfolge erhalten, im Vorfeld aus dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle abgeleitet und anhand von vorher festgelegten Ankerantworten bewertet.   

[2] Auf’s Bauchgefühl verlassen? Lieber nicht (nur)!

Sind klassische Vorstellungsgespräche also das Nonplusultra für die richtige (Aus-)Wahl? Jein, sagt der Experte. „Wie gesagt: Nur strukturierte VorstellungsgesprächeINFOBOX, die auf Basis einer Anforderungsanalyse durchgeführt werden, erzielen gute Ergebnisse – und in der Praxis hapert es gerade daran“. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels muss ein Unternehmen attraktiv genug für die besten Kandidatinnen und Kandidaten sein, erklärt Prof. Dr. Basch. „Aber leider gibt es immer noch viel zu viele Unternehmen, die unstrukturierte, schlechte Vorstellungsgespräche führen“.

Die Folge: Bewirbt sich ohnehin nur eine Handvoll an geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten und weist der Auswahlprozess dann auch noch Mängel auf, kann das verheerende Auswirkungen nicht nur auf die einzelne Stelle, sondern auch auf die grundsätzliche Arbeitgeberattraktivität haben. „Ein Grund dafür, dass hier nicht mehr Zeit und Geld investiert wird, ist unter anderem das menschliche Ego“, sagt Basch. „Die meisten Menschen sind davon überzeugt, andere gut einschätzen und sich alleinig auf ihr Bauchgefühl verlassen zu können. Das ist aber mitnichten der Fall, denn wir alle unterliegen bestimmten Vorurteilen und nehmen verzerrende Faktoren – Attraktivität, Sympathie, erster Eindruck – mit in die Gleichung auf“.

Abhilfe schaffen kann da eben ein strukturiertes Vorstellungsgespräch, denn je stärker der Prozess strukturiert und standardisiert ist, desto besser können diese verzerrenden Faktoren abgefedert werden. „Es gibt Studien, die zeigen: Je weniger Autonomie man Menschen in Personalauswahlentscheidungen lässt, desto valider wird ihre Auswahl“. In der Praxis läuft das natürlich nicht ganz so schwarz-weiß ab. Grundsätzlich kann hier zwischen dem sogenannten holistischen Entscheiden – einer eher intuitiven Entscheidungsfindung nach Bauchgefühl – und dem statistischen Entscheiden, das sich an klaren Messwerten und Regeln orientiert, unterschieden werden. Dabei ist der Personaldiagnostiker selbst kein Verfechter von zu mechanischen Verfahren, sondern spricht sich vielmehr für eine ausgewogene Mischung beider Entscheidungsformen aus: „Die berühmte Bierfrage etwa – das Team setzt sich nach Ende des Vorstellungsgesprächs zusammen und überlegt sich, ob sie mit der Kandidatin oder dem Kandidaten ein Bier trinken gehen würde, also ein eher holistisches Urteil – kann eine valide Ergänzung im statistischen Entscheidungsprozess sein, wenn man sie konsistent in die Regel einbettet. Aber sie darf eben keinesfalls das einzige oder ausschlaggebende Kriterium sein. Ungünstig ist also, wenn man bereits ein statistisches Urteil hat und dies dann holistisch abwandelt à la 'Das ist laut unserer Entscheidungsregeln mit Abstand der geeignetste Kandidat, aber seine Nase gefällt mir nicht, darum nehmen wir den nicht'“.

[3] Recruiting per Video-Call: der Einsatz von technologie-mediierten Vorstellungsgesprächen

Von Telefoninterviews über Vorstellungsgespräche per Videokonferenz bis hin zu (a-)synchronen Videointerviews: An technologie-mediierten Vorstellungsgesprächen, also an all diejenigen Formate, die keiner persönlichen Face-to-face-Situation bedürfenINFOBOX, hat Prof. Dr. Basch ein besonderes Forschungsinteresse. Er interessiert sich dabei vor allem für Leistungs- und Akzeptanzunterschiede zwischen verschiedenen Arten der Interviewdurchführung und untersucht die Validität von technologie-mediierten Vorstellungsgesprächen. Dass deren Einsatz seit der Coronapandemie als Ersatz oder Ergänzung zu traditionellen Face-to-Face-Interviews erheblich zugenommen hat, liegt auf der Hand. Doch wie beurteilen Bewerbende und Interviewende diese Formate, die während der Kontaktbeschränkungen in den letzten zwei Jahren teilweise zu alternativlosen Alternativen wurden, und wie valide sind deren Vorhersagen?

Von klassischen Face-to-face-Interviews spricht man, wenn Bewerbungsgespräche in Präsenz vor Ort stattfinden. Im Unterschied dazu werden technologie-mediierte Interviews digital bzw. virtuell durchgeführt – etwa per Telefon oder Videoanwendung. Dazu zählen auch asychrone Videointerviews, bei denen Bewerbende bestimmte Fragen ohne Interaktionspartner vor der eigenen Webcam beantworten und den Interviewenden zur Verfügung stellen.

[4] Lieber face-to-face? Was Bewerbende nicht kennen, lehnen sie zunächst ab

Vor der Pandemie zeichnete die Forschungslage ein relativ eindeutiges Bild, erläutert Prof. Dr. Basch: Bewerbende lehnten technologie-mediierte Vorstellungsgespräche ab und zogen Face-to-Face-Interviews vor. Die Gründe dahinter sind vielfältig: Auf den ersten Blick krankt das Online-Interview an schlechteren Präsentationsmöglichkeiten, technischen Barrieren und der fehlenden Möglichkeit zur Kontaktaufnahme. Ein weiterer Punkt für die mangelnde Akzeptanz scheint aber vor allem eins zu sein: fehlende Erfahrung mit diesem Format. In einer seiner Studien konnte Prof. Dr. Basch aufzeigen, dass die Schere in der Fairnesswahrnehmung, die Bewerbende in Bezug auf Videokonferenzinterview und Face-to-Face-Interview aufwiesen, vor der Teilnahme an einem Videointerview deutlich größer ausfiel als danach: „Die Teilnehmenden fand es hinterher also gar nicht so schlimm und auch gar nicht so unfair wie gedacht – es ist also auch oft Skepsis, die hier vorherrscht“. Und noch eine interessante Erkenntnis nahm Prof. Dr. Basch aus seinen Studien mit: Die Akzeptanz von Videokonferenzinterviews stieg an, je stärker die Pandemie mit all ihren Einschränkungen im Versuchsaufbau eines fiktiven Bewerbungsgesprächs in den Vordergrund gerückt wurde. Das heißt, die Probandinnen und Probanden zeigten sich technologie-mediierten Vorstellungsgesprächen gegenüber positiver eingestellt, wenn es die Begleitumstände erfordern.

[5] Die Basis jeden Vorstellungsgesprächs: soziale Präsenz

Die Coronapandemie hat zweifellos einen großen Anteil zur besseren Akzeptanz von virtuellen Vorstellungsgesprächen beigetragen, nicht zuletzt auch schlicht deshalb, weil innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit eine Vielzahl an Bewerbenden Erfahrungen mit Videokonferenzinterviews sammeln konnte. Mittlerweile werden sie deshalb auch deutlich besser akzeptiert – kommen, wie Prof. Dr. Basch betont, allerdings nach wie vor nicht ganz an das persönliche Pendant heran. „Ich habe in meinen Studien herausgefunden, dass ein unter Vorstellungsgesprächen liegendes Konstrukt die soziale Präsenz ist. Die bezieht sich auf die Wahrnehmung der anderen Person im selben Raum, lässt sich aber nur schwer definieren“. Dass in einer Videokonferenz eine andere Form von sozialer Präsenz zustande kommt – eine Art Telepräsenz – als in einem Face-to-Face-Gespräch, leuchtet ein: „Wenn ich von meiner Gesprächspartnerin nur ein kleines Zoom-Fenster sehe, nicht aber, was sie trägt, wie sie sich im Raum bewegt oder wie fest ihr Händedruck ist, dann fehlt, esoterisch ausgedrückt, die Aura, die entsteht, wenn ich jemanden wirklich in Gänze wahrnehmen kann – je mehr ich diese Aura aber spüre, desto wohler fühle ich mich auch damit, Impression ManagementINFOBOX zu betreiben; sprich, mich selbst in ein möglichst günstiges Licht zu rücken“.

[6] Vermischung von Interviewmedien resultiert in unfairem Auswahlprozess

In seiner Forschung fand Prof. Dr. Basch zudem heraus, dass Kandidatinnen und Kandidaten in Videokonferenzinterviews grundsätzlich schlechter abschneiden bzw. schlechter beurteilt werden als ihre direkte Konkurrenz in Face-to-Face-Interviews. Einerseits können sich die Bewerbenden virtuell selbst weniger gut darstellen, andererseits unterliegen die Beurteilenden anderen verzerrenden Faktoren als im persönlichen Vorstellungsgespräch mit der Konkurrenz. Das bedeutet: Der Auswahlprozess auf ein und dieselbe Stelle muss für alle Bewerbenden gleich gestaltet werden – im selben Medium. „Selbst, wenn nur eine einzige von 20 Bewerbenden nicht vor Ort ist und per Videokonferenzinterview beurteilt werden soll, müssen die Interviews der restlichen 19 Bewerbenden ebenfalls per Videokonferenz durchgeführt werden“, betont Prof. Dr. Basch. „Mischt man die Interviewmedien innerhalb eines einzelnen Verfahrens, führt das zu einem unfairen, benachteiligenden Auswahlprozess“.

Eigenlob stinkt? Nicht unbedingt in der Sozialpsychologie: Das sogenannte Impression Management ist ein weit verbreitetes Phänomen. Es beschreibt Techniken, die z.B. Bewerbende, aber auch Unternehmen einsetzen, um ein bestimmtes Selbstbild zu etablieren und den Eindruck, den sie auf das Gegenüber machen, möglichst vorteilhaft zu steuern.

[8] „Eine KI hat genauso viel Bias wie wir Menschen“

Wäre ein in Gänze automatisierter, quasi menschenloser Auswahlprozess dann nicht eigentlich die fairste Methode? Und, noch einen Schritt weiter: Ein rein durch Künstliche Intelligenz (KI) gesteuerter Auswahlprozess oder ein Recruiting-Roboter, der mich danach fragt, wo ich mich in fünf Jahren sehe – sind das dann realistische Szenarien? Kaum, sagt der Wirtschaftspsychologe. „Zunächst müssen wir einmal festhalten, dass eine KI in der Personalauswahl vieles sein kann:  z.B. Avatare, die in asynchronen Videointerviews auf mich reagieren, die meine gesprochenen Wörter automatisch erkennen oder die zusätzlich noch meine Mimik oder Gestik in Bewerbungsgesprächen analysieren und daraufhin eine Einstellungsempfehlung geben. Eine KI kann aber auch schon ein einfacher Algorithmus im Sinne einer statistischen Entscheidungsfindung sein (etwa: Master-Abschlussnote < 1,5 und im Auswahltest unter den besten 10%  --> Einstellung). Diese Algorithmen kann man wiederum selbst programmieren oder man gibt ihnen eine Datengrundlage, auf deren Basis sie selbst lernen kann (neuronales Netz). Und hier liegt die Krux: Der Algorithmus ist immer nur so gut wie die Daten, mit denen ich ihn trainiere“.

Das Problem hierbei ist der Mensch: „So lange wir nicht verzerrungsfrei sind – was wir nie sein werden, weil wir nun mal Menschen mit Vorurteilen und subjektiven Erfahrungen sind –, wird auch eine KI Verzerrungen unterliegen“. Gibt man der KI zum Beispiel die Daten aus einem Unternehmen, das schon immer alte weiße Männer eingestellt hat, und trainiert man die KI mit genau diesen Personalentscheidungen, wird sie junge, weibliche PoC vermutlich als ungeeignet aussortieren – weil sie nicht in das Schema passen, das ihr beigebracht wurde. Die wenigsten Unternehmen arbeiten in diesem Bereich mit kontinuierlichen Lernalgorithmen, die mit neuen Daten weiterlernen. Dies hat zur Folge, dass die alten weißen Männer weiterhin als am geeignetsten wahrgenommen werden, obwohl die KI – auf Basis der Datengrundlage mit sehr niedriger Wahrscheinlichkeit – zwischenzeitlich eine junge, weibliche PoC als geeignet eingestuft hat, die dann auch noch Leistung im Unternehmen bringt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Wissenschaft der Praxis hier gewissermaßen hinterherhinkt: Der Einsatz von KI in der Personalauswahl wird zwar schon vielerorts praktiziert, ist derzeit aber nur unzulänglich erforscht. Viele Organisationen und Unternehmen probieren sich auf diesem Feld aus, etwa mittels automatisierter Mimik-Gestik-Analyse, doch ob diese Verfahren tatsächlich valide sind und welchen Adverse ImpactINFOBOX sie mit sich bringen – das wurde bislang kaum untersucht. „KI bietet hier fraglos großes Potenzial, weil sie zumindest schon einmal konsistente Entscheidungsregeln für die Einstellung hat“, sagt Prof. Dr. Basch. „Aber noch gibt es aus meiner Sicht zu viele ungeklärte Fragen, als dass ich einen flächendeckenden Einsatz von KI in der Personalauswahl empfehlen würde“.

Ein Adverse Impact liegt vor, wenn ein bestimmtes Personalauswahlverfahren zu unterschiedlichen Auswahlquoten zwischen den Subgruppen führt – wenn also beispielsweise ein kognitiver Leistungstest durchgeführt wird, bei dem eine Minorität grundsätzlich schlechter abschneidet.

[9] Zocken, bis die Zusage kommt? Gamification in der Personalauswahl

Neben dem Einsatz künstlicher Intelligenz dreht sich im Recruitment-Diskurs derzeit auch viel um das Thema Gamification; also darum, spielerische Elemente in Auswahlverfahren zu integrieren. Ihren Höhepunkt erreicht die Gamification in Form von Game-based AssessmentsINFOBOX. Dahinter steht die Idee, die Attraktivität unbeliebter Auswahlverfahren zu steigern und die Bewerbendenreaktionen zu verbessern. „Aus der Spiel-Psychologie weiß man, was motiviert und am Ball hält“, sagt Prof. Dr. Basch. „Das kann in der Lehre, wo erfolgreich spielebasierte Lernplattformen eingesetzt werden, ebenso funktionieren wie eben in der Personalauswahl“. Allerdings, so gibt er zu bedenken, geht eine solche Gamification häufig auf Kosten des eigentlichen Tätigkeitsbezugs, und auch die Vergleichbarkeit einzelner Game-based-Assessments untereinander gestaltet sich schwierig: „Wir haben es hier schlicht mit zu vielen Variablen zu tun“, erklärt der Wissenschaftler. „In einem dieser Game-based Assessments erhalte ich womöglich Achievement Icons, beim anderen nicht; Setting A hat einen Rollenspielcharakter, Setting B nicht; hier gibt es eine Storyline, dort nicht“.

Die vermutlich größte Baustelle ist aber eine ganz andere: Was für passionierte Gaming-Pros nach einem wahren Bewerbungsschlaraffenland klingt, ist für andere womöglich nur eins – unfair. Studien zeigen, dass bestimmte Subgruppen innerhalb eines solchen Gamification-Settings benachteiligt werden könnten. Problematisch ist dies insbesondere bei Bewerbenden, die im Durchschnitt eine nachweislich niedrigere computerbezogene Selbstwirksamkeit haben – also etwa bei Frauen oder älteren Menschen, die statistisch gesehen weniger von ihren Computer-Skills überzeugt sind. „Die potenzielle Benachteiligung von Subgruppen durch bestimmte Auswahlverfahren ist nicht nur im Bereich Gamification, sondern grundsätzlich eine ebenso komplexe wie hochspannende Frage“, ergänzt Prof. Dr. Basch.

Die in der Personaldiagnostik eingesetzten psychologischen (Test-)Verfahren und Vorgehensweisen sind vielfältig und von unterschiedlicher Validität. Zu den vielgenutzten Instrumenten gehören etwa der klassische Leistungstest und der Situational-Judgement-Test (SJT), bei dem anhand der individuellen Einschätzung einer Situation die verschiedenen Kompetenzen von Bewerbenden gemessen werden können.

Zocken für den Traumjob: Sowohl in gamifizierten Assessments als auch in Game-based Assessements beinhaltet das (Vor-)Auswahlverfahren spielerische Elemente. Während diese Elemente in gamifizierten Assessments eher als Add-on betrachtet werden können, basieren Game-based Assessments in Gänze auf einer Spielsituation. Die mit psychometrischen Methoden entwickelten Games sollen Rückschlüsse auf die Eigenschaften und Fähigkeiten von Bewerbenden ermöglichen.

[10] Vorstellungsgespräche im Jahr 2030? Die Zukunft der Personalauswahl

Lässt sich bei all den Veränderungen, die momentan stattfinden, denn eine Prognose treffen, wie Vorstellungsgespräche im Jahr 2030 aussehen werden? „Ich hoffe, dass Vorstellungsgespräche auch in zehn Jahren noch gut standardisiert und strukturiert sind und auf Basis einer Anforderungsanalyse durchgeführt werden“, sagt der HNU-Professor. „Aber welche Interviewmedien künftig die erste Geige spielen werden – das bleibt die spannende Frage“.