Ingenieure ohne Grenzen e.V.
Die Hilfsorganisation Ingenieure ohne Grenzen e.V. wurde 2003 gegründet und zählt mittlerweile bereits über 1.700 ehrenamtliche Mitglieder. Der Verein gliedert sich deutschlandweit in 30 Regionalgruppen sowie 5 Kompetenzgruppen und führt unter anderem Projekte in den Bereichen Wasser- und Energieversorgung sowie Infrastrukturausbau durch.
Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Nachhaltigkeit der Arbeit, die unter anderem durch die Ausbildung der lokalen Bevölkerung und den Wissenstransfer an die Partnerorganisationen gewährleistet werden soll. Ingenieure ohne Grenzen Deutschland ist eingetragen im Internationalen Netzwerk von Engineers Without Borders International (öffnet neues Fenster).
Regionalgruppe Ulm / Neu-Ulm
Die Regionalgruppe Ulm der Ingenieure ohne Grenzen wurde im März 2010 von Studierenden der Hochschule Ulm (öffnet neues Fenster) und Neu-Ulm gegründet. Innerhalb kürzester Zeit fanden sich interessierte Ingenieure, und auch die HS Neu-Ulm konnte als langfristiger Partner gewonnen werden. Nach nur sechs Monaten hat sich die Regionalgruppe Ulm auf ein Kernteam von insgesamt 20 aktiven Mitgliedern, bestehen aus Ingenieuren, weiteren Berufstätigen und Studierenden anderer Studiengänge, entwickelt.
Projekte
Erstes Projekt: Elektrifizierung von Schulen und Gemeindezentren durch Pico-Solarsysteme in Mosambik
Als erstes Projekt entschied sich die Ulmer Regionalgruppe zu der Elektrifizierung von Schulen in Mosambik mit solaren Inselsystemen. Das Projekt wurde von dem Ulmer Professor Peter Adelmann und Dr. Boa Cuamba, Professor für Erneuerbare Energien an der Eduardo Mondlane Universität in Maputo, initiiert.
Die Ausgangssituation
Mosambik ist mit Platz 185 von 186 (2012) des HDI eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Der Human Development Index (HDI) wird jährlich veröffentlicht und bewertet die Gesundheit und Ausbildung, sowie den Lebensstandard, der Bevölkerung eines Landes. Auch bedingt durch den Bürgerkrieg, der noch bis 1992 andauerte, haben viele Erwachsene weniger als zwei Jahre Schulausbildung genossen. 2011 lag die Analphabetenrate des Landes bei 45%.
Um die Ausbildungssituation der erwachsenen Landbevölkerung zu verbessern, entschied sich die Ulmer Regionalgruppe zu der Elektrifizierung von öffentlichen Schulen in der Gaza-Provinz von Mosambik. Die Ausstattung der Schulen mit elektrischem Licht sollte den Erwachsenen Abendunterricht ermöglichen. Die Zusammenarbeit vor Ort erfolgte mit der Caritas Regional de Chókwè.
Das Projekt
Nach der Genehmigung des Projekts durch die Geschäftsstelle des Vereins in Berlin erfolgte im Frühjahr 2011 die Erkundung. Diese ist für ein Projekt von Ingenieure ohne Grenzen obligatorisch und dient dazu, die Sinnhaftigkeit eines Projekts zu überprüfen und für die technische Realisierung des Projekts benötigte Informationen zu beschaffen. Die Erkundung, wie auch die spätere Implementierung, erfolgte zusammen mit Basilio Tamele und André Cuinica, zwei Studenten der Eduardo Mondlane Universität. Neben der reinen Ausstattung von Schulen mit Licht stand, entsprechend des Selbstverständnisses der Regionalgruppe, der Wissenstransfer im Vordergrund des Projektes. Die beiden Studenten gehörten daher zu den ersten zehn Personen, die von dem Unternehmen fosera zu Kleinunternehmern ausgebildet wurden, um die Verbreitung von solaren Inselsystemen zu erhöhen. Zusätzlich erfolgte zeitgleich durch das Unternehmen die Errichtung einer Manufaktur für Kleinstsolarsysteme in Maputo.
Im Zuge der Erkundung stellte sich heraus, dass zwei der Schulen in näherer Zukunft an das lokale Stromnetz angeschlossen werden sollten. Diese wurden daher für die Implementierung nicht weiter berücksichtigt. Die verbleibenden zwölf Schulen erwiesen sich jedoch für die Ausstattung mit sogenannten Pico-Solarsystemen geeignet. Neben den Klassenzimmern der Schule wurde jeweils ein angrenzendes Lehrerzimmer oder Büro mit Strom versorgt. Dieses Zimmer wurde stets von den Klassenzimmern getrennt ausgestattet und erhielt zusätzlich eine Ladestation für Mobiltelefone. Mit der Möglichkeit, Mobiltelefone zu laden, sollten die Gemeinschaften Rücklagen für eventuelle Reparaturen bilden.
Die Evaluierung des Projekts erfolgt in zwei Stufen. Eine erste Evaluierung erfolgte bereits drei Monate nach der Implementierung. Der zweite Teil der Evaluierung erfolgt im Herbst 2013. Bereits bei der ersten Evaluierung hatten sich etwa 600 Schüler zum Abendunterricht angemeldet. Das Schulprogramm geht über drei Jahre und beinhaltet hauptsächlich Lesen, Portugiesisch und Mathematik. Zur Zeit nehmen über 1100 Schüler an dem Unterricht teil! Aber auch kleinere technische Probleme und Diebstähle wurden im Rahmen der ersten Evaluierung offenbar. Die mit sieben der insgesamt neun entwendeten Lampen am stärksten betroffenen Gemeinde bekundete jedoch den Willen, die Lampen eigenfinanziert ersetzen zu wollen.
Lichtblicke in Mosambik
Bedingt durch den Erfolg, der sich bereits sehr schnell nach der Implementierung des ersten Projektes abzeichnete, entschied sich die Regionalgruppe das Angebot von Abendunterricht in Mosambik weiter zu unterstützen und weitere Schulen mit solaren Inselsystemen auszustatten. Die Schulen liegen in der Provinz Cabo Delgado im Nordosten des Landes. Das Projekt wird zusammen mit der mosambikanischen Nichtregierungsorganisation Associação Progresso durchgeführt und umfasste anfangs acht Schulen. Im Zuge der Erkundung, die im Mai 2013 von Rudi und Christina durchgeführt wurde, erwiesen sich sieben der Schulen für geeignet. Die achte wurde durch einen Sturm im Jahr 2012 stark beschädigt. Da die Mittel zur Reparatur fehlten, konnte das Dach bisher noch nicht rekonstruiert werden. Zur Zeit erfolgen die Vorbereitungen für die Implementierung des Projekts.
Staudamm für eine Berufsschule in Mosambik
Ebenfalls zusammen mit Associação Progresso soll der Wiederaufbau eines Staudamms einer Berufsschule in der Provinz Niassa im Norden Mosambiks erfolgen. Die Schule liegt nahe der Stadt Lichinga und lehrt neue Anbaumethoden und technische Fähigkeiten im Bereich der Landwirtschaft. Der Staudamm diente der Schule zur Bewässerung der Felder in der Trockenzeit und ist bereits zweimal gebrochen. Das Projekt wird zusammen mit der Hochschule Biberach durchgeführt, die der Regionalgruppe mit ihrem Wissen und Erfahrung zur Seite steht. Nach der Erkundung Ende 2012 entschied man sich zu der Implementierung des Projektes. Die Staumauer soll durch Zement verstärkt und vergrößert werden, um eine größere Wassermenge speichern zu können.
Im Zuge der Erkundung wurde in Lichinga eine von Ärzte ohne Grenzen errichtete Krankenstation besucht. Da die Stromversorgung der Krankenstation nicht gesichert ist und die Anlage Brutkästen für Frühgeburten benötigen könnte, wird zur Zeit ein Projekt in diesem Bereich vorbereitet.
Bildung unter Strom (Indien)
Ergänzend zu unseren Projekten in Mosambik wurde im vergangenen Jahr ein Projekt in dem indischen Bundesstaat Andhra Pradesh ausgearbeitet. Die Schule bietet 170 Kindern kostenlosen Unterricht in englischer Sprache. Die Unterrichtsqualität leidet zur Zeit an einer häufigen Unterbrechung der Stromversorgung. Elektrischer Strom ist jedoch im heißen Süden des Landes für den Betrieb von Ventilatoren unabdingbar. Von der Regionalgruppe Ulm / Neu-Ulm soll die Versorgung der Schule mit elektrischem Strom stabilisiert werden, außerdem sollen nach Möglichkeit die Energiekosten der Schule gesenkt werden. Die Erkundung des Projekts ist im Herbst 2013 geplant.
Technikteam
Neben den Projektteams existiert in der Regionalgruppe Ulm / Neu-Ulm ein Technikteam, welches sich um allgemeine, nicht projektgebundene Entwicklungen bemüht. Diese sollen die Implementierung der Projekte unterstützen oder unabhängig von diesen die Entwicklung in den Partnerländern verbessern. Im Technikteam werden zur Zeit drei verschiedene Produkte entwickelt: ein Solarkocher mit Speicherfunktion, Brutschränke für Hühnereier und einfach zu konstruierende LED-Lampen.
Projekte
Solarkocher
Insbesondere in äquatornahen Regionen können Solarkocher als umweltschonende und kostengünstige Variante des Kochens genutzt werden. Diese Kocher können ohne Speicher jedoch ausschließlich tagsüber benutzt werden und sind somit nicht für die arbeitende Bevölkerung geeignet. Zu diesem Zweck wird im Technikteam der Regionalgruppe an einem Solarkocher mit einem Wärmespeicher gearbeitet. Der Kocher wird neben dem Speicher aus einem Rinnenkollektor und der eigentlichen Kocheinheit bestehen. Außerdem wird das Wärmemedium durch eine, im Team entwickelte, Membranpumpe umgepumpt werden. Die hierfür und für die Steuerung benötigte elektrische Energie soll durch ein Picosolarsystem erzeugt werden. Neben dem bereits erstellten Konzept wurde ein Prototyp des Kollektors und der Pumpe errichtet.
Brutschränke für Hühnereier (Tansania)
Um Kleinbauern in Tansania ein zusätzliches Einkommen zu ermöglichen, gab es von der Heinrich-Sinz-Schule in Ichenhausen die Idee, einen Inkubator für Hühnereier zu entwerfen. Dieser soll vor Ort leicht produzierbar sein und, von Solarenergie abgesehen, ohne zusätzliche Energie auskommen. Im Rahmen des Projekts, welches als Projektarbeit der Schule durchgeführt wird, führen die Schüler eine praktische Prüfung durch, die Teil des Mittelschulabschlusses im Förderbereich Lernen ist. Optimale Brutbedingungen für Hühnereier liegen zwischen 37,8 und 38,2 °C, auch die Luftfeuchtigkeit muss einen annähernd konstanten Wert aufweisen. Um diese Rahmenbedingungen einhalten zu können, soll aus einer alten Kühl-Gefrier-Kombination ein Inkubator gebaut werden.
Die Gefriereinheit dient als Wärmespeicher, das Ausbrüten der Eier erfolgt in der Kühleinheit. An den Speicher wird ein Kollektor zur Erwärmung angeschlossen. Als Wärmemedium fiel die Wahl auf Luft, da bei Undichtigkeiten in dem System keine womöglich umwelt- oder gesundheitsschädlichen Mittel austreten. Der Speicher wird zusätzlich mit Steinen oder ähnlichem befüllt, um die Wärmekapazität zu erhöhen. Die Bruteinheit ist über Rohrverbindungen mit dem Speicher regelbar verbunden. Der für die Regelung und Umwälzung der Luft benötigte elektrische Strom wird durch ein Picosolarsystem erzeugt.
LED-Lampen
Neben dem Solarkocher mit Wärmespeicher und Brutschränken für Hühnereier wurden im Technikteam einfache LED-Lampen entwickelt. Diese können vor Ort leicht nachgebaut werden und ermöglichen so eine stärkere Einbindung der Lokalbevölkerung. Konkret bestehen die beiden Lampen aus einer Lochrasterplatine und einer Reihe weißer LEDs. Eine der Lampen ist als Leselampe konzipiert worden und wird in einem Reagenzglas untergebracht. Die andere kann zum Beispiel in ein Marmeladenglas eingebaut werden und als kleine Deckenlampe dienen. Beide Lampen weisen sechs weiße LEDs mit einer Gesamtleistung von 1,5W auf, wodurch sich Lichtleistungen äquivalent zu einer 20W-Glühbirne erzeugen lassen.
Selbstverständnis und Vision der Regionalgruppe Ulm / Neu-Ulm
Durch ehrenamtliches Engagement innerhalb der Regionalgruppe Ulm / Neu-Ulm der Ingenieure ohne Grenzen e.V. stoßen wir eine langfristige Verbesserung der Lebensbedingungen der Dorfbevölkerung in Partnerländern an. Die enge Zusammenarbeit und Einbeziehung der lokalen Bevölkerung ist unser Hauptaugenmerk bei der Durchführung von langfristig nachhaltigen Projekten. Die Projektarbeit ist eindeutig in technischer Richtung, was zugleich das Hauptalleinstellungsmerkmal ist. Ziel ist es, der lokalen Bevölkerung auf lange Sicht eine Beschäftigungsperspektive zu ermöglichen. Daher wollen wir strukturelle Veränderungen einleiten und begleiten. Dabei liegt die Priorität neben Wissenstransfer und Ausbildung auf interkulturellem Austausch zwischen der Ulmer Region und den Entwicklungsländern. Die Regionalgruppe bietet allen Interessierten die Möglichkeit, durch eigenes „Anpacken“ zu einer Verbesserung der Lebenssituation in Partnerländern beizutragen und dabei eigene Kompetenzen zu erweitern. Des Weiteren agiert sie als Netzwerker zwischen Entwicklungsländern, regionaler Wirtschaft, Hochschulen, NGOs und Gesellschaft.