Die Gesprächspartner
Prof. Dr. Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.
Dr. med. Michael Ullmann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Sportmedizin mit Facharztreife Herzchirurgie, Dozent für KI in der Gesundheitsversorgung an der HNU und Gründer von DOCULLMANN.AI, einer KI-Unternehmensberatung mit Sitz in Leonberg. Er unterstützt Unternehmen dabei, ihr volles Potenzial durch den Einsatz von KI zu entfalten und zukunftssicher zu werden. Seine Leidenschaft liegt in der Entwicklung und Implementierung von KI-Lösungen, die speziell auf die individuellen Bedürfnisse von Unternehmen zugeschnitten sind. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrung in führenden Managementpositionen bei internationalen Konzernen wie Bosch, Johnson & Johnson und Nuance Communications (jetzt Microsoft), seiner langjährige Beratertätigkeit und KI-Lehrtätigkeit kombiniert er tiefgehendes Wissen in der Schnittstelle von innovativer Technologie, Management und Medizin.
Wie verändert Künstliche Intelligenz (KI) die Arbeitswelt im Gesundheitswesen?
Dr. med. Michael Ullmann: KI revolutioniert die Arbeitswelt im Gesundheitswesen bereits auf vielfältige Weise und hat das Potenzial, nahezu jeden Aspekt der medizinischen Versorgung zu verbessern. Besonders bedeutend ist die Rolle der KI in der Radiologie. Tatsächlich sind ca. 78 % der von der FDA bisher zugelassenen auf KI-basierenden Medizinprodukte für den Anwendungsbereich Radiologie bestimmt. Hier unterstützt KI Radiologen durch die Automatisierung der Bildanalyse und das Erkennen subtiler Anomalien, die menschlichen Augen möglicherweise entgehen könnten. Diese Technologien helfen dabei, präzisere Diagnosen zu stellen, die Fehlerquote zu reduzieren und die Arbeitsbelastung der Radiologen signifikant zu verringern. So können sie sich auf komplexere Fälle und patientennahe Aufgaben konzentrieren.
Darüber hinaus spielt KI eine zentrale Rolle bei der Entlastung von Routine- und administrativen Aufgaben im Gesundheitswesen. Automatisierte Systeme können in folgenden Bereichen einen deutlichen Mehrwert schaffen:
- Datenanalyse und -interpretation: KI kann große Mengen an Patientendaten analysieren und wertvolle Einsichten liefern, die zur Entwicklung personalisierter Behandlungspläne beitragen.
- Administrative Aufgaben: Automatisierung von Verwaltungsprozessen wie Terminplanung, Abrechnung und Dokumentenmanagement reduziert den Arbeitsaufwand für medizinisches Fachpersonal und minimiert das Risiko menschlicher Fehler.
- Dokumentation: KI-gestützte Spracherkennungssysteme können die Dokumentation von Patientengesprächen und Befunden in Echtzeit übernehmen, was die Genauigkeit erhöht und Ärzten mehr Zeit für die Patientenversorgung lässt.
- Telemedizin und Remote Monitoring: Durch den Einsatz von KI in der Telemedizin können Patientinnen und Patienten aus der Ferne überwacht und betreut werden. Dies ist besonders in ländlichen Gebieten und während globaler Gesundheitskrisen von großem Vorteil.
Ein weiterer bedeutender Bereich ist die Patientenversorgung. So können z. B. KI-gestützte Chatbots und virtuelle Assistenten Patientenfragen rund um die Uhr beantworten, den Zugang zu Informationen verbessern und die Zufriedenheit erhöhen. Bei der Medikation können KI-Systeme mögliche Wechselwirkungen und Nebenwirkungen analysieren und Empfehlungen zur Anpassung der Medikation geben.
Welche Berufe im Gesundheitswesen sind durch KI bedroht?
Dr. med. Michael Ullmann: Obwohl KI zahlreiche Vorteile bietet, gibt es bestimmte Berufe im Gesundheitswesen, die durch den Einsatz von KI-Technologien bedroht sein könnten, vor allem in Bezug auf routinemäßige und administrative Aufgaben. Diese Berufe werden sicher nicht vollständig ersetzt, sondern ihre Aufgaben könnten durch KI unterstützt oder automatisiert werden, was zu einer Verschiebung der beruflichen Anforderungen führt.
Nachfolgend einige Beispiele:
- Administrative Assistenz: KI-gestützte Systeme zur Verwaltung von Terminen, Patientenakten und anderen administrativen Aufgaben können die Arbeitslast von administrativem Personal erheblich reduzieren. Chatbots und virtuelle Assistenten übernehmen die Beantwortung von häufigen Patientenfragen und die Verwaltung von Terminbuchungen, wodurch die Notwendigkeit für menschliche Interaktion in diesen Bereichen verringert wird.
- Dokumentationsspezialisten: KI-gestützte Spracherkennung und Textverarbeitungssysteme können die Dokumentation von Patientenakten automatisieren, indem sie gesprochene Arzt-Patienten-Interaktionen in Echtzeit transkribieren. Dies verringert die Notwendigkeit für menschliche Dokumentationsspezialisten und erhöht gleichzeitig die Effizienz und Genauigkeit der Patientenaktenverwaltung.
- Medizinische Kodierer und Abrechnungsfachkräfte: KI-Systeme können medizinische Behandlungen schnell und genau kodieren und so den Abrechnungsprozess in Teilen oder vollständig automatisieren. Dies reduziert die Notwendigkeit für manuelle Kodierung und Abrechnung, was diese Berufe potenziell bedrohen könnte. Diese Systeme minimieren Fehler und beschleunigen den Prozess, was zu einer effizienteren Verwaltung der Gesundheitsdaten führt.
- Telemedizin-Support: In der Telemedizin können KI-Systeme grundlegende diagnostische Aufgaben übernehmen, wie das Sammeln und Analysieren von Patientendaten. Dies reduziert die Notwendigkeit für menschliches Telemedizin-Unterstützungspersonal, das für die Sammlung und Voranalyse von Daten zuständig ist.
Medizinische Berufe sehe ich nicht als gefährdet an. Fachärztinnen und -ärzte, wie z. B. Radiologinnen und Radiologen, werden weiterhin benötigt, um die von der KI generierten Ergebnisse kritisch zu überprüfen und fundierte medizinische Entscheidungen zu treffen. KI kann ihre Arbeit unterstützen, aber nicht vollständig ersetzen. Die Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass das medizinische Personal die neuen Technologien versteht und effektiv nutzt, um die bestmögliche Patientenversorgung zu gewährleisten.
Welche neuen Berufe sind durch KI im Gesundheitswesen bereits entstanden, welche weiteren Berufsbilder sind zukünftig zu erwarten?
Dr. med. Michael Ullmann: Der Einsatz von KI im Gesundheitswesen hat bereits zur Entstehung mehrerer neuer Berufe geführt, die spezialisierte Kenntnisse in Datenwissenschaft, Informatik und Gesundheitswesen erfordern. Diese Berufe sind notwendig, um die neuen Technologien effektiv zu nutzen und die Gesundheitsversorgung zu verbessern.
Nachfolgend einige Beispiele für bereits entstandene Berufsbilder:
- Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler im Gesundheitswesen spielen eine zentrale Rolle in der Analyse und Interpretation großer Mengen medizinischer Daten. Diese Fachkräfte entwickeln Vorhersagemodelle und Algorithmen, die Ärztinnen und Ärzte bei der Diagnose und Behandlung von Patientinnen und Patienten unterstützen. Sie arbeiten eng mit klinischen Teams zusammen, um datenbasierte Lösungen für spezifische medizinische Fragestellungen zu entwickeln und so die Entscheidungsfindung zu verbessern.
- Machine Learning Engineers sind darauf spezialisiert, Machine Learning-Modelle zu entwerfen und zu implementieren, die spezifische Gesundheitsprobleme lösen. Ihre Aufgaben umfassen das Programmieren und Trainieren von Algorithmen, die Integration dieser Modelle in bestehende Gesundheitssysteme und die kontinuierliche Optimierung ihrer Leistung.
- Bioinformatikerinnen und -informatiker verwenden Softwaretools zur Analyse biomedizinischer Daten, insbesondere im Bereich der Genomik und Proteomik. Sie arbeiten daran, genetische Marker für Krankheiten zu identifizieren und personalisierte Medizinansätze zu entwickeln, die auf genetischen Informationen basieren.
- Gesundheitsinformatikerinnen und -informatiker verwalten und analysieren Gesundheitsdaten und entwickeln Informationssysteme, die die klinische Entscheidungsfindung unterstützen. Sie sind oft verantwortlich für die Integration von KI-Systemen in elektronische Patientenakten, um die Effizienz und Genauigkeit der Datenverwaltung zu verbessern.
- Ein Beruf, der in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird, ist der des KI-Ethikers bzw. -Ethikerin. Diese Fachkräfte bewerten die ethischen Implikationen des Einsatzes von KI im Gesundheitswesen und entwickeln Richtlinien und Standards, um sicherzustellen, dass KI-Systeme fair, transparent und ethisch korrekt eingesetzt werden.
- KI-Trainerinnen und -trainer werden ebenfalls zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Sie sind verantwortlich für das Training von KI-Modellen, sammeln und annotieren Trainingsdaten und überwachen die Leistung der Modelle. Durch kontinuierliche Anpassungen sorgen sie dafür, dass die Genauigkeit und Effizienz der KI-Systeme stetig verbessert wird.
- Computer Vision Engineers spezialisieren sich auf die Entwicklung von Algorithmen zur Bild- und Videoanalyse. Im Gesundheitswesen arbeiten sie an Systemen zur Analyse medizinischer Bilddaten wie Röntgenbildern, MRTs und CT-Scans, was die diagnostische Genauigkeit und Effizienz erhöht.
- Ein weiterer zukünftig wichtiger Beruf ist der des Natural Language Processing (NLP) Engineers. Diese Fachkräfte entwickeln Systeme zur Verarbeitung und Analyse natürlicher Sprache, einschließlich Tools zur automatisierten Dokumentation, der Analyse von Patientenberichten und der Entwicklung von Chatbots für den Patientenservice.
- Robotics Engineers werden ebenfalls zunehmend gefragt sein. Sie entwickeln und implementieren robotergestützte Systeme für chirurgische Eingriffe, Rehabilitation und patientenunterstützende Technologien. Diese Systeme kombinieren mechanische und KI-Technologien, um präzise und effiziente medizinische Verfahren zu ermöglichen.
- Zuletzt wird der KI-Sicherheitsberaterinnen und -berater an Bedeutung gewinnen. Diese Spezialisten konzentrieren sich auf die Sicherheit von KI-Systemen im Gesundheitswesen, analysieren potenzielle Sicherheitsrisiken und entwickeln Strategien zur Risikominderung, um sicherzustellen, dass KI-Anwendungen sicher und zuverlässig eingesetzt werden.
Diese neuen und zukünftigen Berufsbilder verdeutlichen, wie sich das Gesundheitswesen durch die Integration von KI-Technologien verändert. Sie erfordern spezialisierte Kenntnisse und Fähigkeiten, die sowohl technisches als auch klinisches Verständnis umfassen. Bildungseinrichtungen und Gesundheitsbetriebe müssen daher in die Ausbildung und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden investieren, um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten und die Vorteile der KI voll auszuschöpfen.
Brauchen Gesundheitsbetriebe zukünftig einen CAIO (Chief AI Officer)?
Dr. med. Michael Ullmann: Eindeutig ja. Aus meiner Sicht wird es zunehmend wichtiger, dass auch Gesundheitsbetriebe einen CAIO (Chief AI Officer) haben. Ein CAIO kann die Entwicklung und Implementierung von KI-Strategien leiten, sicherstellen, dass ethische Standards eingehalten werden, und als Schnittstelle zwischen den technischen und klinischen Teams fungieren. Dies ist besonders wichtig, um die Integration von KI-Technologien zu optimieren und sicherzustellen, dass diese Technologien patientenzentriert eingesetzt werden.
Was müssen Bildungseinrichtungen und Gesundheitsbetriebe zukünftig tun, um Karrieren im Bereich KI zu ermöglichen?
Dr. med. Michael Ullmann: Bildungseinrichtungen müssen ihre Curricula erweitern, um Kenntnisse in Datenwissenschaft, KI und Gesundheitsinformatik zu integrieren. Angebote könnten spezialisierte Studiengänge, Zertifikatsprogramme und praxisorientierte Trainings umfassen. Die HNU bietet beispielsweise bereits den Masterstudiengang Digital Healthcare Management oder das praxisorientierte, berufsbegleitende Online-Weiterbildungsprogramm „Digitalisierung und KI im Gesundheitswesen“ an.
Generell sollten Gesundheitsbetriebe in die kontinuierliche Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden investieren und Partnerschaften mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen eingehen. Dies könnte durch Praktika, gemeinsame Forschungsprojekte und Weiterbildungsprogramme erfolgen.
Bildungseinrichtungen und Gesundheitsbetriebe sollten auch interdisziplinäre Ansätze fördern, um sicherzustellen, dass Fachkräfte sowohl über technisches Wissen als auch über klinisches Verständnis verfügen. Dies kann durch gemeinsame Workshops, Seminare und Schulungsprogramme erreicht werden.
Insgesamt sind Kooperation und ständige Weiterbildung entscheidend, um sicherzustellen, dass die zukünftige Generation von Fachkräften im Gesundheitswesen die Fähigkeiten und das Wissen hat, um KI effektiv zu nutzen. Gerade im Hinblick auf die rasante Entwicklung im Bereich KI ist kontinuierliche Weiterbildung mit entsprechenden aktualisierten Angeboten entscheidend, um hier Schritt halten zu können.
Vielen Dank für das Gespräch!