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HNU Health­ca­re Ma­nage­ment In­sights #8

06.02.2024, Dia­lo­ge :

In der Interviewserie befragt Prof. Dr. Patrick Da-Cruz wechselnde Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus dem Gesundheitsbereich. In dieser Folge spricht er mit Dr. med. Jannis Vitzthum über Chancen und Risiken der Ambulantisierung. 

Die Ge­sprächs­part­ner

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz

Dr. med. Jannis Vitzthum ist Director Medtronic Integrated Health Solutions DACH. Als Arzt mit mehrjähriger klinischer und beratender Erfahrung (u.a. McKinsey, Deloitte) ist er Experte für Themen des Gesundheitswesens, insbesondere im Bereich Change Management. 

Porträtfoto von Dr. med. Jannis Vitzthum
Dr. med. Jannis Vitzthum

Was ist unter dem Begriff „Ambulantisierung“ zu verstehen? Weshalb hat das Thema in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen?

Dr. med. Jannis Vitzthum: Ambulantisierung bezieht sich auf die Verlagerung von medizinischen Leistungen von der stationären in die ambulante Versorgung. Dieser Trend hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, da er eine kosteneffiziente Alternative zur stationären Versorgung darstellt und die medizinische Versorgung insbesondere im ländlichen Raum stärkt. Unsere europäischen Nachbarn sind hier schon deutlich weiter, für viele Untersuchungen und Eingriffe, die bei uns noch im Krankenhaus erbracht werden, gibt es dort generell nur noch ambulante Leistungen. Wie wir an europäischen Beispielen wie z.B. in den Niederlanden oder den nordischen Ländern sehen, können prinzipiell alle Gruppen durch diese Transformation gewinnen.

Welche Chancen und Risiken sind für Krankenhäuser mit dem Thema Ambulantisierung verbunden?

Dr. med. Jannis Vitzthum: Krankenhäuser können von der Ambulantisierung profitieren, indem sie sich auf schwere und komplexe Behandlungen konzentrieren und dadurch ihre Effizienz steigern. Allerdings kann die Ambulantisierung auch zu einer Überlastung des ambulanten Sektors führen, was zu einer Mehrbelastung für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte führen kann. Es darf also nicht zu einer reinen Verschiebung der Leistungen hin zu den Praxen kommen, das funktioniert nicht.  Und letztlich stellt es einen ökonomischen Faktor dar, der das Gesundheitssystem und damit die Gesellschaft als Ganzes entlastet.

Welche Chancen und Risiken sind für Patienten mit dem Thema Ambulantisierung verbunden?

Dr. med. Jannis Vitzthum: Für Patienten bietet die Ambulantisierung den Vorteil, dass sie in ihrer vertrauten Umgebung behandelt werden können und nicht im Krankenhaus übernachten müssen. Auch sinkt das Risiko, sich eine nosokomiale, also durch die Krankenhausumgebung bedingte Infektion zuzuziehen, wenn der Aufenthalt minimiert wird. Allerdings kann es auch zu einer kürzeren Nachbeobachtungszeit und einer schlechteren Ausbildung von Nachwuchskräften im Krankenhaus kommen. Daher ist es wichtig, die zukünftigen Patientenpfade komplett neu zu denken, anstatt einfach nur die Krankenhausliegedauer „auf null Tage“ zu reduzieren. Dies gelingt – und dafür gibt es viel wissenschaftliche Evidenz – durch optimale Vorbereitung der Patientinnen und Patienten sowie Nutzung neuer Technologien wie etwa Telemedizin oder Patienten-Apps. Beispielsweise kann eine Patientin oder ein Patient heutzutage eine Rückfrage und ein Foto der Wunde an das Krankenhaus senden, und weitere wichtige Parameter können aus der Ferne überwacht werden, um den Betroffenen die notwendige Sicherheit für den Fall der Fälle zu geben.

Welche Rolle spielt das Thema Vergütung bei der Ambulantisierung?

Dr. med. Jannis Vitzthum: Das Thema Vergütung spielt natürlich eine wichtige Rolle bei der Ambulantisierung. Leistungen, die im Krankenhaus erbracht werden, erzielen derzeit noch das Vielfache an Erlös gegenüber derselben Leistung, wenn sie ambulant erbracht wird. Für alle Leistungen des erweiterten AOP-Katalogs sollen die Vertragspartner – GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft und Kassenärztliche Bundesvereinigung – Vergütungen vereinbaren, die jeweils für Krankenhäuser und Vertragsärzte identisch sind und nur nach Schweregrad des Behandlungsfalls variieren.

Kann die Ambulantisierung bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels helfen?

Dr. med. Jannis Vitzthum: Ja, durchaus - die Ambulantisierung kann bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels helfen. Die effizienten Strukturen einer gelungenen ambulanten Versorgung könnten einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des zunehmenden Fachkräftemangels darstellen. Für die Leistungserbringer im Krankenhaus, die Ärztinnen, Ärzte und Pflegenden kann sie eine signifikante Entlastung bringen – der Personalaufwand für die reine „Übernachtung“ auch ohne medizinische Leistungen ist sehr hoch, schon alleine durch den administrativen Aufwand und z.B. die Dokumentation.

Vielen Dank für das Gespräch!