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HNU Health­ca­re Ma­nage­ment In­sights #1 

05.04.2023, Dia­lo­ge :

In der Interviewserie befragt Prof. Dr. Patrick Da-Cruz wechselnde Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus dem Gesundheitsbereich. Den Anfang macht Prof. Dr. Roger Jaeckel zum Stand der Krankenhausreform in Deutschland.

Die Ge­sprächs­part­ner

Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz

Roger Jaeckel ist Honorarprofessor an der Fakultät Gesundheitsmanagement und seit 2004 in leitender Funktion in der Gesundheitsindustrie mit Schwerpunkt Gesundheitspolitik, Market und Patient Access tätig. Darüber hinaus ist er Beiratsvorsitzender der HNU in der MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und Publikationen die Themen Gesundheitspolitik und -versorgung betreffend, u.a. Mitherausgeber von zwei Fachbüchern „Market Access im Gesundheitswesen“.

Prof. Dr. Roger Jaeckel

Vor welchen Herausforderungen steht der Krankenhaussektor derzeit?

Prof. Jaeckel: Der Krankenhaussektor sieht sich einem ganzen Bündel von Ereignissen und Themen ausgesetzt, die sich durch diverse lang-, mittel- und kurzfristige Ereignisse wie fehlende Investitionsmittel, Corona-Pandemie, rückläufige Patientenzahlen und Energiekrise zunächst erklären lassen. Kurzfristige Lösungsansätze gibt es jedoch nicht, zumal die aktuelle Finanzlage ausgabenwirksame Reformlösungen nicht so ohne weiteres zulässt. Problematisch erscheint mir in diesem Zusammenhang, dass die Gesundheitspolitik viel zu lange auf die Karte einer wettbewerblich geprägten Marktbereinigung gesetzt hat mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Dabei stellen Krankenhäuser ein öffentliches Gut dar, das sich per se nicht durch einen marktwirtschaftlich orientierten Verdrängungswettbewerb effizienter gestalten lässt. Die Qualität der Patientenversorgung hat unter dieser Entwicklung in den letzten Jahren doch merklich gelitten.

Strukturreformen im Krankenhaussektor werden seit längerem diskutiert. Wie ist hier der aktuelle Diskussionsstand? Welche Umsetzungsschritte sind konkret geplant?

Prof. Jaeckel: Hierzu hat die von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach bestellte Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung bereits Anfang Dezember 2022 eine Stellungnahme veröffentlicht, die bei einer konsequenten Umsetzung der aufgeführten Reformvorschläge eine massive Änderung der Krankenhauslandschaft zur Folge hätte. Dabei geht es im Kern darum, die stationäre Behandlung einer bundesweiten Normierung der Behandlungsqualität zu unterziehen. Ein Unterfangen, welches seit Jahren ansteht, aber durch politische Einflussnahme immer wieder erfolgreich abgewehrt werden konnte. Die Problematik der aktuell angekündigten Krankenhausreform besteht nach meiner Einschätzung nun vielmehr darin, dass der gewählte Zeitpunkt die jetzt schon bestehenden Finanzierungsprobleme im Klinikbereich nicht lösen kann. Des Weiteren schlägt die Regierunskommission ein Reformkonzept vor, das strukturelle Maßnahmen parallel mit einer Krankenhausvergütungsreform verbindet. Ein solcher Ansatz ist zwangsläufig an Komplexität nicht zu überbieten, zumal bundes-, landes- und kommunalpolitische Interessen direkt aufeinanderprallen.

Inhaltlich geht es um bundesweit normierte Versorgungsstufen, einheitlich definierte Leistungsgruppen, die das Leistungsgeschehen im Krankenhaus abbilden sollen und dass ein Teil des Krankenhausbudgets künftig in Form einer patientenunabhängigen Vorhaltefinanzierung vergütet wird, um im Krankenhausalltag den ökonomischen Druck rauszunehmen. Dieses Unterfangen nimmt bereits jetzt schon einen „Mission-Impossible-Charakter“ ein, der sehr viel gesundheitspolitischen Sprengstoff beinhaltet und gemeinsame Lösungsansätze aufgrund divergierender Zielinteressen nur mit Kompromissformeln auf allen Seiten gestaltbar erscheint.

Mit welchen Konsequenzen im Krankenhaussektor, aber auch in der Gesundheitsversorgung allgemein, ist grundsätzlich zu rechnen?

Prof. Jaeckel: Der finanzielle Rahmen ist für die Durchführung einer solch strukturverändernden Reform schlichtweg nicht gegeben, so dass ohne Zuführung weiterer staatlicher Finanzmittel es nur eine Krankenhausreform auf Raten wird geben können. Auch bei den Krankenkassen gibt es keine finanziellen Spielräume in den nächsten Jahren, so dass steigende Beitragssätze in der GKV ab 2024 durchaus ein realistisches Szenario darstellen. Dabei sind andere, reformpolitisch bedingte ausgabensteigernde Effekte noch gar nicht eingepreist. Ungeachtet politischer Lösungen werden wir auch Demographie bedingt strukturelle Anpassungen im Gesundheitswesen erleben, die für uns alle eine neue Dimension darstellen werden.

Welche Unterschiede ergeben sich möglicherweise für die stationäre Versorgung in Ballungsräumen und im ländlichen Raum?

Prof. Jaeckel: Dies wird strukturpolitisch einer der größten Herausforderungen werden, dass bereits jetzt vorhandene Versorgungsunterschiede in den nächsten Jahren nicht noch weiter auseinanderdriften. Die Vermeidung quantitativer und qualitativer Versorgungsunterschiede wird sich nur mit einer konsequenten Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen im Allgemeinen und in der stationären Versorgung im Besonderen in engen Grenzen halten lassen. Mit den Finanzmitteln, die aus dem Krankenhauszukunftsfonds stammen, wird sich dies nicht bewerkstelligen lassen, weil diese Mittel nur für investive Maßnahmen verwendet werden dürfen. Der digitale Weg zur Patientenversorgung muss erst noch gebahnt werden.

Wie kann das Management einzelner Krankenhäuser sich proaktiv in den Prozess einbringen?

Prof. Jaeckel: Intern sollte man die Einführung agiler Organisationsstrukturen vorantreiben, um kurzfristig erforderliche Anpassungsprozesse im Sinne des Change-Managements aktiv zu steuern. Extern empfehle ich, die aktuellen reformpolitischen Entwicklungen beispielsweise in Form von Online-Veranstaltungen zu verfolgen oder reformspezifische Seminare zu besuchen. Auch bei den Hochschulen sehe ich einen Weiterbildungsauftrag, den sich abzeichnenden Strukturwandel im Gesundheitswesen fachlich und vorausschauend zu begleiten.

Vielen Dank für das Gespräch!