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HNU Health­ca­re Ma­nage­ment In­sights #12

25.03.2024, Dia­lo­ge :

In der Interviewserie befragt Prof. Dr. Patrick Da-Cruz wechselnde Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus dem Gesundheitsbereich. In dieser Folge spricht er mit Dr. Nicolas Busch über das Thema Hybridversorgung.

Die Ge­sprächs­part­ner

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz

Dr. Nicolas Busch ist Mediziner und Partner bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group in München. Er berät insbesondere europäische Krankenversicherungen, Gesundheitssysteme und Leistungserbringer zur Optimierung ihrer Versorgungsansätze und Identifikation von neuen Möglichkeiten durch die Digitalisierung.

Dr. Nicolas Busch

Was verstehen Sie unter „Hybridversorgung“?

Dr. Nicolas Busch: In vielen Gesundheitssystemen – und insbesondere in Deutschland – sehen wir aktuell eine große Dysbalance zwischen Ausgaben, Qualität der Versorgung, Zugang zu medizinischen Leistungen und Zufriedenheit der Mitarbeitenden in den Systemen. Während lange Zeit die Hoffnung stark auf digitalen Angeboten lag, wird jetzt immer klarer, dass eine „Digital-Only“-Versorgung für die meisten Bereiche nicht funktioniert. Es braucht daher die Kombination von „Vor-Ort-Angeboten“ (z.B. Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäuser, At-Home-Testing etc.) mit digitalen Versorgungsangeboten (wie z.B. Telemedizin, digitale Therapien, Patientenportale, Remote Monitoring). Diese Angebote müssen miteinander verknüpft sein, damit sie ein nahtloser Übergang zwischen den verschiedenen „Welten“ sichergestellt ist und Silos aufgelöst werden.

Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich im Rahmen der Implementierung von Modellen der Hybridversorgung für die Patienten, Leistungserbringer und Kostenträger?

Dr. Nicolas Busch: Die Chancen der hybriden Versorgung sind vielfaltig: Der Zugang zu medizinischen Leistungen kann verbessert werden (z.B. Telemedizin in unterversorgten Gebieten), die Versorgung kann effizienter werden (z.B. durch die Vermeidung von unnötigen Arztbesuchen), die Qualität kann verbessert werden (z.B. durch einheitliche, digital-gesteuerte Patientenpfade) und die „Patient-Experience“ kann auf ein neues Niveau gehoben werden. Hybride-Angebote können hierbei die logische Brücke zwischen digitalen, leicht zugänglichen und günstigeren Angeboten für die Basis-Versorgung und der Behandlung vor Ort für komplexe Behandlungen bzw. umfangreicherer Diagnostik bilden. Ein Beispiel: Dank Remote-Monitoring und modernen Technologien kann ich sehr gut sehen, wenn sich chronische Erkrankungen langsam, aber deutlich verschlechtern. Ich kann lange versuchen, mit digitalen Hilfsmitteln (z.B. Coaches, Ernährungsberatung, Sicherstellung der Einnahme von Medikamenten) das Fortschreiten zu verlangsamen. Es wird aber auch Momente geben, in denen eine weitergehende Diagnose und persönliche Gespräche erforderlich sind. Große Herausforderung ist sicherlich die Vergütung: Patientenpfade werden aktuell nicht durchgehend gedacht, sondern jeder Bereich hat seine eigene Logik und Grundlage für die Vergütung. Dies ist aktuell noch ein Bremsfaktor.

Gibt es bereits erfolgreiche Ansätze der Hybridversorgung?

Dr. Nicolas Busch: Es ist schön zu sehen, dass sich in verschiedenen Gesundheitssystemen die Stakeholder bereits auf die Reise gemacht haben. Von den vielen Beispielen möchte ich einmal drei exemplarisch herausstellen:

1. Ich finde es sehr spannend, wie Dermanostic in Deutschland ein mehrstufiges Versorgungsmodell aufbaut: Bild-Diagnostik mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und Telemedizin – aber dann auch Kooperations- und eigene Praxen vor Ort in der Nähe der Patientinnen und Patienten.

2. Wir sehen aktuell im Gesundheitssystem in UK einen großen Trend in die Richtung von „Virtual Wards“ – also statt Krankenhaus wird die Patientin oder der Patient nach Hause entlassen und dort mit Remote-Monitoring überwacht (z.B. nach orthopädischen Eingriffen).

3. Firmen wie GluCare im mittleren Osten bauen für metabolische Erkrankungen durchgehende Versorgungsprogramme auf und zeigen hierbei eine deutliche Verbesserung der medizinischen Outcomes.

Wie könnte ein Vergütungssystem für Hybridversorgungsmodelle aussehen?

Dr. Nicolas Busch: Das Thema Vergütung ist – wie so oft im Gesundheitswesen – natürlich absolut kritisch für einen Erfolg. Ich denke, wir werden hier in Zukunft mehr modulare Systeme entlang des Patientenpfades sehen – statt vielen Einzelziffern wie heute. Für die Versorgung von Diabetikerinnen und Diabetikern kann ich mir z.B. gut vorstellen, dass es zum einen die medikamentöse Versorgung gibt, auf der anderen Seite das digitale Coaching und Nachhalten der Therapie, die tiefergehende Diagnostik und der regelmäßige Check-Up durch einen Arzt für Ort. Für dieses gesamte Paket gibt es eine feste Vergütung für fixe und optionale Bestandteile und die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt koordiniert das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Akteuren. Die digitalen Elemente werden dann als Teil dieses Vergütungspaketes abgerechnet – idealerweise ebenfalls mit erfolgsbasierten Anteilen die höhere Versorgungsqualität honorieren.

Welche Rolle kann generative KI zukünftig im Rahmen der Hybridversorgung spielen?

Dr. Nicolas Busch: Durch das Fortschreiten von Technologien und insbesondere von Künstlicher Intelligenz werden wir eine deutliche Beschleunigung von hybriden Versorgungsansätzen sehen. Aus meiner Sicht können viele „Routine-Analysen“ automatisiert ablaufen: Eine KI kann heute schon gut vorhersagen, wann das Risiko für eine Verschlechterung einer Erkrankung besteht, welche Medikamente besser wirken können, was mögliche Diagnosen für einen Hautausschlag sind und wie z.B. der Lebensstil von Patientinnen und Patienten umgestellt werden müsste. Auf der anderen Seite kann die KI auch dabei helfen, die Informationen für die Betroffenen so aufzuarbeiten, dass diese leicht verständlich und hilfreich sind. Ich sehe die Technologie hier als Enabler zwischen Ärztinnen und Ärzten und Patientinnen und Patienten – die Ärztin bzw. der Arzt wird entlastet, weil „einfache Tätigkeiten“ entfallen und er sich auf komplexe Fragen und die Empathie zum Patienten fokussieren kann. Die Patientin bzw. der Patient kann in seiner Entscheidungsfindung und Gesundheitskompetenz gestärkt werden. Für die hybride Versorgung werden aber auch insbesondere noch Technologien wie Smart Sensors, IoT, Virtual/Augmented Reality und At Home-Testing für einen deutlichen Schub sorgen.

Vielen Dank für das Gespräch!