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HNU Healthcare Management Insights #25

07.02.2025, Dialoge:

In der Interviewserie befragt Prof. Dr. Patrick Da-Cruz wechselnde Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus dem Gesundheitsbereich. Zu Gast in der aktuellen Folge ist HNU-Kollegin Prof. Dr. Sylvia Schafmeister mit dem Thema New Work im Gesundheitswesen. 

Die Gesprächspartner

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz

Prof. Dr. Sylvia Schafmeister ist Dekanin der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm und Studiengangleitung im MBA Führung und Management im Gesundheitswesen sowie im Bachelor-Studiengang Management für Gesundheits- und Pflegeberufe. Sie vertritt u.a. die Lehrfächer Krankenhaus-, Personal- und Organisationsmanagement. Vor Ihrer Berufung an die Hochschule zeichnete sie als Prokuristin für die Bereiche Personal und Organisation in einem Schwerpunkt-Krankenhaus verantwortlich.

Prof. Dr. Sylvia Schafmeister

Was versteht man grundsätzlich unter „New Work“?

Prof. Dr. Sylvia Schafmeister: Der Begriff „New Work“ wird m.E. sehr unterschiedlich interpretiert und hat mit seinem aktuellen Hype nur bedingt mit dem Begriff zu tun, wie es Bergmann in seinem sozialromantischen Werk in den 70er Jahren geprägt hat. Er wendete sich mit seinem Konzept „New Work“ letztlich gegen eine industriell geprägte Arbeitswelt, die durch Fließband, Standardisierung und Massenproduktion gekennzeichnet war und mit Arbeitsteilung und einer hohen Arbeitszergliederung den Arbeitsvollzug prägte. Entsprechend dominierten einheitliche Arbeitszeiten durch Schichtsysteme, in denen die Beschäftigten zur gleichen Zeit an einem Ort ihre Arbeit nach stark reglementierten Vorgaben zu verrichten hatten, was wenig mit Partizipation und Sinnstiftung zu tun hatte. Demgegenüber entwarf Bergmann eine „idealisierte“ Arbeitsutopie, in der Sinnstiftung und Partizipation der Beschäftigten zentraler Bestandteil war und „Erwerbsarbeit“ nicht mehr allein im Mittelpunkt stehen sollte, sondern selbstbestimmte, sinnstiftende Arbeit. Der Leitsatz „Arbeiten, um zu leben“ anstelle „Leben, um zu arbeiten“ geht auf Bergmanns Vorstellung zurück und wurde in den letzten 20 Jahren zu einem starken gesellschaftlichen Treiber von „Work-Live-Balance“ und neuen Arbeitszeitmodellen. 

Durch die digitale Transformation ist das heutige Konzept des „New Work“ eng mit der Start-up-Szene und der Arbeitswelt in Technologieunternehmen verknüpft, die das Potenzial sahen, sinnstiftende Arbeit innerhalb der „Erwerbsarbeit“ umzusetzen und durch die Nutzung digitaler Tools die enge Verknüpfung von Arbeitszeit und -ort aufzugeben. Dazu kamen im Sinne des agilen Manifests die Betonung der Partizipation an Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen bei der Produktentwicklung. 

Heute verstehen wir letztlich unter „New Work“ die Entkoppelung von Arbeitszeit- und -ort; die Flexibilisierung von Beschäftigungsvolumen und Arbeitszeiten; Mitarbeiterpartizipation, d.h. Beteiligung von Mitarbeitern an Entscheidungsprozessen – dies setzt einen partizipativen Führungsstil voraus –; und last not least eine veränderte Büro- und Arbeitsprozessgestaltung. Die Pandemieerfahrung war letztlich Katalysator für die Durchsetzung dieser Entkoppelungsprozesse. 

Welche Relevanz hat das Thema im Gesundheitswesen, speziell in Krankenhäusern und Arztpraxen?

Prof. Dr. Sylvia Schafmeister: Auch im Gesundheitswesen ist New Work angekommen, wir müssen jedoch die Bereiche zwischen eigentlicher Patientenversorgung und administrativen Bereichen unterscheiden. Im administrativen Bereich ist eine Entkoppelung von Arbeitszeit und -ort problemlos möglich und wird heute auch im Rahmen einer modernen Büroarbeit umgesetzt. In der Patientenversorgung kann es verständlicherweise nur bedingt umgesetzt werden. Administrative Tätigkeiten wie Dienstplanung oder die Erstellung von Qualitätsberichten können von zu Hause aus erledigt werden. Dank Telemedizin können sämtliche digitalen Auswertungen von Radiologiebildern, Hautbildern oder Laborparametern ebenfalls von zu Hause durch Ärztinnen und Ärzte erfolgen, und ärztliches Personal kann jederzeit digital bei Patientenvisiten dazugeschaltet werden. Begrenzt werden diese Entwicklungen nur durch die technische Ausstattung und letztlich die finanziellen Ressourcen. Auch in Arztpraxen können diese Tätigkeiten remote erledigt werden. 

Leider wird bei New Work häufig nur diesem technologischen Treiber Aufmerksamkeit geschenkt. Viel spannender ist doch aber die Frage, inwieweit diese technologischen Möglichkeiten der Arbeitszeitflexibilisierung tatsächlich zu einer partizipativen, sinnstiftenden Arbeit auch im Gesundheitswesen beitragen. Es geht also mehr um das Thema Partizipation und Führung. 

Welche „New Work-Instrumente eignen sich aus Ihrer Sicht besonders im Gesundheitswesen?

Prof. Dr. Sylvia Schafmeister: Das zentrale Element von New Work ist meiner Ansicht nach das Thema „Vertrauenskultur“. Vertraue ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und schätze ihre Arbeit, auch wenn ich sie nicht direkt vor Ort kontrollieren kann? Inwieweit bin ich bereit, die Kompetenzen meiner Beschäftigten wirklich anzuerkennen und im täglichen Prozess mit einzubeziehen? Inwieweit kann ich als Führungskraft hier einen „Gestaltungs- und Entscheidungsraum“ zulassen und damit die Beschäftigten zu ihren eigenen Gestaltern machen, was letztlich die Sinnstiftung in der eigenen Tätigkeit ausmacht? Führung wird hierdurch nicht zum „Laissez-faire“, sondern Führung wird zum Leadership: Führungskräfte inspirieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ihre Ideen einzubringen und sich gemeinsam mit der Führungskraft auf den Weg zu begeben, ihre Vision zum Krankenhaus, zur Arztpraxis zu verwirklichen. Der Begriff „Transformationale Führung“ bildet dieses Führungsverständnis wunderbar ab: weg von der Misstrauens- hin zur Vertrauenskultur.

Vor welchen Herausforderungen stehen Krankenhäusern und Arztpraxen, die „New Work-Ansätze implementieren möchten?

Prof. Dr. Sylvia Schafmeister: Die zentrale Herausforderung ist meines Erachtens die Änderung des vielbeschworenen „Mindsets“: einerseits, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit sind, sich zu verändern und als Expertinnen und Experten ihrer Prozesse Verantwortung für Veränderungen zu tragen, andererseits, dass Führungskräfte bereit sind, Verantwortung für die Veränderung auch tatsächlich abzugeben. Nur in einer solchen Vertrauenskultur kann der Ansatz New Work im Hinblick auf „Sinngestaltung“ und „neue Arbeitsformen“ überhaupt effektiv gelingen. 

Wie wirkt sich eine „New Work-Umgebung“ in Gesundheitseinrichtungen auf die Arbeitgeberattraktivität und Mitarbeiterzufriedenheit aus?

Prof. Dr. Sylvia Schafmeister: Wenn eine Vertrauenskultur als neues Konzept New Work authentisch geschaffen wurde, erleben Beschäftige ihre Tätigkeit als sinnstiftend, weil sie einen akzeptierten Beitrag zur Vision leisten, mitgestalten und dabei nicht exakt vorgegeben bekommen, wann und wie sie ihre Arbeit erfolgreich leisten können. Das Schöne im Gesundheitswesen ist ja, dass die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr gerne in der Patientenversorgung tätig sind und hier ihre eigentliche Berufung, sprich, Sinnerfüllung sehen. Die Veränderung der Arbeitskultur und Arbeitszeitformen im Sinne „New Work“ verstärkt die Sinnerfüllung und stärkt damit Arbeitgeberattraktivität durch erhöhte Mitarbeiterzufriedenheit. 

Vielen Dank für das Gespräch!