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Die Stadt von mor­gen zum Ge­spräch von heu­te ma­chen

01.10.2021, Nach­ge­forscht :

Dass unsere Kommunikation durch die Digitalisierung von Grund auf verändert wurde, ist keine neue Erkenntnis. Seltener allerdings gerät in den Blick, dass Kommunikation ihrerseits als entscheidender Treiber der digitalen Transformation fungiert und der Wandel kommunikativ begleitet werden muss. Umso wichtiger sind durchdachte und tragfähige Kommunikationskonzepte – so auch im Projekt „Zukunftsstadt Ulm 2030“, in dem Kommunikation in vielerlei Hinsicht eine essentielle Rolle spielt. Die Hochschule Neu-Ulm begleitet das Projekt wissenschaftlich und erforscht kommunikative Bedarfe und Lösungen für die Zukunftsstadt.

Zu­kunfts­fä­hi­ge Kom­mu­ni­ka­ti­on für das Pro­jekt "Zu­kunfts­stadt Ulm 2030"

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Big Data, KI und der Wandel der Kommunikation 

Innovative Technologien, disperse Zielgruppen auf einer steigenden Vielzahl an Kanälen und eine zunehmende Relevanz von Big Data und KI: Die Digitalisierung hat eine neue Ära der Kommunikation eingeläutet. Noch nie war es in der menschlichen Interaktion so einfach, räumliche und zeitliche Grenzen zu überwinden, und gleichzeitig noch nie so schwierig, alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen.

Für Kommunikationsverantwortliche in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bietet das einerseits eine spannende grüne Wiese, zeigt sich andererseits aber auch als veritable Herausforderung: Es gilt Bedarfe zu analysieren, Konzepte zu erstellen, Kenndaten zu erheben und Strategien immer wieder anzupassen – und dabei eben nicht nur reine Information bereitzustellen, sondern den digitalen Wandel kommunikativ anzustoßen und zu verankern.

Über die Zu­kunfts­stadt

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte und vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) getragene Projekt „Zukunftsstadt 2030“ bringt Teams aus Bürger:innen, Wissenschaft, lokaler Politik, Wirtschaft und Verwaltung an einen Tisch, um gemeinsam innovative, digitale Lösungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung zu finden. Ulm ist eine von acht deutschen „Zukunftsstädten“, die in der dritten Projektphase dabei gefördert werden, tragfähige Konzepte des digitalen Lebens in den Themenbereichen Bildung, Mobilität, Alter/Gesundheit und Verwaltung umzusetzen. Ziel ist es, einen zukunftsweisenden Alltag erlebbar zu machen, in dem die digitale Technik das tägliche Leben nachhaltig unterstützt.

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Gemeinsam für eine nachhaltige, digitale Stadtentwicklung: Die „Zukunftsstadt Ulm 2030“

„Digital ist besser“: Was die deutsche Indie-Band Tocotronic schon 1995 wusste, ist heute mehr denn je zu einem Leitsatz geworden, der auch das Projekt „Zukunftsstadt Ulm 2030“ prägt. In diesem Projekt wird Zukunft gedacht und gemacht – und das kollaborativ, denn die nachhaltige, digitale Stadtentwicklung, die das Projekt etabliert, entsteht in Zusammenarbeit von Ulmer:innen und Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft sowie Stadt, Verwaltung und Politik.

2015 wurde Ulm in einer ersten Phase als eine von 51 Kommunen im Wettbewerb „Zukunftsstadt 2030“ ausgewählt und darin gefördert, sich mit den Potenzialen des digitalen Umbruchs als Stadt und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Auch für die zweite Projektphase erhielt die Donaustadt den Zuschlag und konkretisierte ihre Leitfrage – „Wie kann die Stadt Ulm mit digitalen Mitteln lebenswerter und nachhaltiger werden?“ – in sechs Themenfeldern und verschiedenen Prototypkonzeptionen. Derzeit läuft die dritte Phase des Projekts, für die sich Ulm gemeinsam mit sieben weiteren Städten qualifizieren konnte und die seit 2017 bei der Geschäftsstelle Digitale Agenda verankert ist. Unter dem Motto „Nachhaltigkeit digital mitgestalten – Internet der Dinge für alle“ dreht sich seitdem alles darum, die in den vorangegangenen Phasen gemeinsam mit Bürger:innen entwickelten digitalen Ideen in den Bereichen Bildung, Mobilität, Alter/Gesundheit und Verwaltung zu verankern. Ziel ist es, das Internet der Dinge in eine gesamtgesellschaftliche Anwendbarkeit zu überführen.

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Ein Schlüssel für erfolgreiche Beteiligung: die richtige Kommunikationsstrategie

Dass Kommunikation in diesem Projekt eine elementare Rolle spielt, liegt auf der Hand. Denn: Damit ein nachhaltiger Wandel alle Stakeholder erfassen und auch im Verhalten von Bürger:innen gelingen kann, bedarf es spezifischer Maßnahmen, die über die klassische Öffentlichkeitsarbeit einer Kommune hinausgehen. Die Zielgruppen sollen nicht bloß auf dem Laufenden gehalten werden, vielmehr geht es tiefgreifender darum, Akzeptanz, Commitment und vor allem Beteiligung zu erzeugen. Der Wandel will erzählend vorbereitet, begleitet und beschlossen werden, Visionen müssen narrativ vermittelt werden („Storytelling“).

Innovations- bzw. Change-Kommunikation ist also der Schlüssel zum erfolgreichen Wandel, und dafür, dass der passgenau in alle Schlössern greifen kann, sorgt die Hochschule Neu-Ulm als Projektpartner im Rahmen ihrer transdisziplinären wissenschaftlichen Begleitforschung.

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Wissenschaftliche Begleitforschung an der HNU

Innovations- bzw. Change-Kommunikation ist also der Schlüssel zum erfolgreichen Wandel, und dafür, dass der passgenau in alle Schlössern greifen kann, sorgt die Hochschule Neu-Ulm als Projektpartner im Rahmen ihrer transdisziplinären wissenschaftlichen Begleitforschung.

Prof. Dr. Julia Kormann, Vizepräsidentin der HNU und Professorin für Unternehmenskommunikation, Jens Boscheinen, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Nachhaltigkeit und digitale Kommunikation, und Carolin Moser, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Wissenschaftskommunikation im Projekt Zukunftsstadt, forschen in diesem Rahmen daran, wie erfolgreiche Kommunikation im regionalen Transformationsprozess der Zukunftsstadt Ulm gelingen kann.  Sie konzipieren die kommunikative Rahmung des Gesamtprojekts und der einzelnen Themenfelder sowohl in owned media wie auch in earned media, begleiten die verschiedenen Kommunikationsanlässe sowie die Verbreitung und Verankerung von Nachhaltigkeitszielen und betreiben Wirkungsanalysen.

Neben der Kommunikation über das Projekt darf natürlich auch die Kommunikation im Projekt nicht fehlen: Die Maßnahmen zielt gleichermaßen darauf ab, Abstimmungsprozesse unter den beteiligten Akteur:innen und Stakeholdern in gemeinsamen Workshops zu definieren und durch Kommunikationspläne zu optimieren.

An­sprech­part­ner:in­nen der kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­li­chen Be­gleit­for­schung

Prof. Dr. Ju­lia Kor­mann

Vizepräsidentin für Studium und Lehre, Nachhaltigkeit

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Jens Bo­schei­nen

Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Nachhaltigkeit und digitale Kommunikation

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Ca­ro­lin Mo­ser

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Wissenschaftskommunikation im Projekt „Zukunftsstadt Ulm 2030 – Phase 3 – Kommunikation“

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Zielgruppengerechte Kommunikation: „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“

Die wichtigste Frage vor jedem anvisierten Veränderungsprozess: Mit wem soll eigentlich wie gesprochen werden? Mit dieser Fragestellung im Hinterkopf finalisierten die Expert:innen der HNU in der zweiten Projektphase ein Konzept für die Kommunikation der Zukunftsstadt, das als Entscheidungshilfe für die Auswahl der Stakeholder, das visuelle Erscheinungsbild, die Content-Entwicklung und die Nutzung der Kommunikationskanäle und Medien fungierte und laufend evaluiert und angepasst wurde.

Gerade dann, wenn ein Projekt eine so umfassende Transformation intendiert und dabei so viele unterschiedliche Stakeholder involviert, wie es die Zukunftsstadt tut, braucht es neben Zielwissen (dem Soll-Zustand) auch Systemwissen (der Ist-Zustand) über alle potenziellen Zielgruppen – und ein möglichst differenziertes Verständnis davon, wie situative, kulturellen oder soziale Voraussetzungen und Kontexte die Botschaften beeinflussen können, die die Zukunftsstadt an ihre Bewohner:innen aussendet. Schließlich geht es darum, Wissen, Werte, Meinungen und sogenannte Verhaltensdispositionen (also die Fähigkeit oder Möglichkeit, ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen) erfassen, verändern oder etablieren zu können – „der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“.

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Für die kommunikative Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft

Grundlage für diese Analyse bildeten soziodemographische Daten Ulms und Neu-Ulms: Das HNU-Team definierte Stakeholder aus Wissenschaft, Wirtschaft, Stadt und Politik und identifizierte Zielgruppen wie etwa die Ulmer Bürger:innen, Neubürger:innen bzw. „Teilzeit-Ulmer:innen“ oder Tourist:innen. Auf Basis von Sinus-Milieus – eine vom Sinus-Institut entwickelte Gesellschafts- und Zielgruppen-Typologie – ließen sich in der Binnendifferenzierung zudem unterschiedliche Lebenswelten und -stile erfahrbar machen. In den Blick gerieten nicht nur die Zukunfts- und innovativen Milieus, in denen digital natives die Kommunikation der kommenden Jahre bestimmen, sondern auch Personen, die dem Projekt möglicherweise skeptisch gegenüberstehen könnten. Gerade diese Zielgruppe sollte in der Kommunikation explizit mitgedacht werden. U.a. mit dem St.-Galler-Management-Modell, ein Bezugsrahmen, mit dem Unternehmen auch in ihrer Kommunikation ganzheitlich begreifen lassen, konnten einzelne Anspruchsgruppen miteinander in Verbindung gesetzt werden und  Wirkungszusammenhänge sichtbar gemacht werden. Denn: Kommunikation ist eben nicht nur der klassische Dialog zwischen zwei Personen, sondern findet vor allem in Netzwerken statt. Ein entsprechend erstelltes Kommunikationsnetzwerk visualisierte die einzelnen Interaktionsbeziehungen. Mittels Selbst- und Fremdbildanalyse (Wo stehen wir? Wie werden wir gesehen? Wo wollen wir hin?) schärften die HNU-Wissenschaftler:innen gemeinsam mit allen Projektbeteiligten die kommunikativen Ziele und Wege der Zukunftsstadt.

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Die Zukunftsstadt ans Lagerfeuer bringen: Dialoge anschüren, Ideen zünden

In der aktuellen dritten Phase der Begleitforschung ist das kommunikative Lagerfeuer die leitende Metapher: Über die die Themen der Zukunftsstadt wird bereits gesprochen – verstreut an mehreren, häufig virtuellen Orten („Lagerfeuern“), die es zu identifizieren und an denen es zu teilzunehmen gilt, um die Zukunftsstadt selbst zum Gesprächsthema an den Lagerfeuern zu machen. 

Dreh- und Angelpunkt der Teilhabe an zivil- und stadtgesellschaftlichen Veränderungsprozessen ist ein „sense of belonging“, der über emotionale Identifikation entstehen soll. Konkret heißt das: Die Kommunikation der Zukunftsstadt möchte allen Beteiligten einen ähnlichen Informationsstand ermöglichen, Wissen über Technologien und soziale Innovationen transferieren, Anreize zur Partizipation schaffen und übergeordnet einen kontinuierlichen Dialog zwischen Stadt, Wissenschaft und Bürger:innen etablieren – und das dort, wo sich die Veränderungen vollziehen sollen, also sowohl im physischen wie auch im digitalen Raum. Möglich machen das unter anderem crossmediale partizipative Formate. So gibt es Plattformen für den zivilgesellschaftlichen Dialog, etwa im „Boxenstopp“, der in regelmäßigen Abständen mitten in der Stadt einen Treffpunkt für Bürger:innen bietet, die über Stadtentwicklung und Digitalisierung sprechen oder digitale Lösungen entwickeln möchten. Ehrenamtliche Digitalmentor:innen unterstützen Bürger:innen bei Fragen rund um die digitale Kommunikation in Sprechstunden vor Ort. Der Intercultural Communication Space (ICS) hilft dabei, Sprachbarrieren zu überwinden, ermöglicht mehrsprachige Kommunikation und fördert den Austausch von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Hintergründen.

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Ausblick

Bis zum Ende der Projektlaufzeit stehen weitere Workshops nach der Design-Thinking-Methode an, um die Kommunikation in der Umsetzungsphase final zu modellieren. Sowohl in den einzelnen Handlungsfeldern wie auch in der Gesamtkommunikation wird das HNU-Team gemeinsam mit den Akteur:innen relevante Lagerfeuer identifizieren, Dialoge anschüren und Ideen zünden – so dass die der Gedanke der innovativen, digitalen und lebenswerten Zukunftsstadt Ulm bis 2022 nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch in den Köpfen der Menschen angekommen ist.