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HNU Health­ca­re Ma­nage­ment In­sights #22

21.10.2024, Dia­lo­ge :

In der Interviewserie befragt Prof. Dr. Patrick Da-Cruz wechselnde Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus dem Gesundheitsbereich. Aktuelles Thema: Value Based Pricing in der Medizinprodukteindustrie – Gesprächspartner ist Dr. Danilo Zatta. 

Die Ge­sprächs­part­ner

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz

Dr. Danilo Zatta ist ein international bekannter Experte für Pricing. Als Unternehmensberater leitet er seit 25 Jahren sowohl in Europa als auch weltweit Projekte für multinationale Unternehmen, KMUs und Investmentfonds in unterschiedlichsten Branchen.  Zudem verfasste er zahlreiche Bücher und Artikel in mehreren Sprachen. Danilo Zatta studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Luiss in Rom und an der UCD in Dublin, Irland, und absolvierte einen Master of Business Administration am INSEAD in Fontainebleau, Frankreich, und Singapur.  Seine Promotion erfolgte an der TUM im Bereich Ertragsmanagement und Pricing. 

Dr. Danilo Zatta
Dr. Danilo Zatta

Mit welchen Herausforderungen ist die Medizinprodukteindustrie derzeit im Bereich Marketing & Vertrieb konfrontiert?

Dr. Danilo Zatta: Die Medizinprodukteindustrie steht im Bereich Marketing & Vertrieb vor einer Reihe spezifischer Herausforderungen. Drei sind besonders relevant:

  • Preissensibilität im Gesundheitswesen: Gesundheitssysteme und Krankenhäuser stehen weltweit unter immensem Kostendruck. Sie sind ständig auf der Suche nach kosteneffizienten Lösungen, was den Preisdruck auf Hersteller von Medizinprodukten erhöht. Unternehmen müssen ihre Preise oft senken oder zusätzliche Rabatte und Preisnachlässe anbieten, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
  • Kostenerstattung und Erstattungssysteme: In vielen Ländern ist die Preisgestaltung für Medizinprodukte eng mit den Erstattungssystemen der Krankenkassen und Versicherungsgesellschaften verknüpft. Produkte, die keine oder nur eine begrenzte Kostenerstattung erhalten, müssen oft zu niedrigeren Preisen angeboten werden, um auf dem Markt erfolgreich zu sein.
  • Wettbewerb und Markttransparenz: Der Markt für Medizinprodukte ist oft gesättigt, mit zahlreichen Anbietern, die ähnliche Produkte anbieten. Dies führt zu einem hohen Wettbewerbsdruck und einer hohen Preistransparenz, wodurch es schwieriger wird, Premium-Preise durchzusetzen. Unternehmen müssen innovative Preisstrategien entwickeln, um sich in einem solchen Umfeld zu behaupten.

Um diese Herausforderungen zu bewältigen, müssen Unternehmen in der Medizinprodukteindustrie flexible und innovative Preis- und Vertriebstrategien entwickeln, die sowohl den Marktbedingungen als auch den regulatorischen Anforderungen gerecht werden.

Was genau versteht man unter „Value Based Pricing“?

Dr. Danilo Zatta: Value Based Pricing, auf Deutsch wertbasierte Preisgestaltung, ist eine Preisstrategie, bei der der Preis eines Produkts oder einer Dienstleistung auf dem durch die Kundinnen und Kunden wahrgenommenen Wert basiert anstatt auf den Produktionskosten oder den Preisen der Konkurrenz. In der Medizinprodukteindustrie bedeutet dies, dass der Preis eines Produkts darauf basiert, welchen klinischen und ökonomischen Nutzen es für Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und das Gesundheitssystem insgesamt bietet.

Warum gewinnt dieses Modell in der Medizinprodukteindustrie zunehmend an Bedeutung?

Dr. Danilo Zatta: Weil der Kundennutzen im Fokus steht und somit die Monetarisierung des gelieferten Wertes optimal ist: Der Preis wird durch den Mehrwert bestimmt, den das Produkt für die Kundinnen und Kunden schafft. Im Gesundheitswesen kann dieser Wert aus verschiedenen Aspekten bestehen, wie z. B. einer verbesserten klinischen Wirksamkeit, einer schnelleren Genesung, einer Reduzierung der Nebenwirkungen oder einer Kosteneinsparung im Gesundheitssystem.

In der Medizinprodukteindustrie ist es entscheidend, den klinischen Nutzen (z. B. bessere Behandlungsergebnisse, geringere Komplikationsraten) und den ökonomischen Nutzen (z. B. kürzere Krankenhausaufenthalte, weniger Folgekosten) des Produkts nachzuweisen. Dieser Nachweis spielt eine zentrale Rolle bei der Rechtfertigung des Preises.

Produkte, die sich durch Innovation oder einzigartige Vorteile auszeichnen, haben im Rahmen von Value Based Pricing die Möglichkeit, höhere Preise zu erzielen. Dies setzt jedoch voraus, dass der Hersteller den zusätzlichen Wert klar kommunizieren und belegen kann. 

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Implementierung von Value Based Pricing Ansätzen in einem stark regulierten Bereich wie der Medizinprodukteindustrie?

Dr. Danilo Zatta: Es kann eine Herausforderung sein, den klinischen und ökonomischen Wert eines Produkts klar und überzeugend zu kommunizieren und durch Studien und Daten zu belegen.

Zudem sind nicht alle Akteure im Gesundheitswesen, wie Krankenhäuser, Versicherungen oder Patientinnen und Patienten, immer bereit, höhere Preise zu zahlen, auch wenn der Mehrwert nachgewiesen ist. Es erfordert oft umfassende Aufklärungsarbeit und Verhandlungen.

Neben Value Based Pricing ist es sehr wichtig, Value Selling zu betreiben, sprich, den Wert des Produktes zu vermitteln und belegen, damit er erkannt wird und sich in einer höhere Zahlungsbereitschaft niederschlägt. 

Gibt es Use Cases aus der Medizinprodukteindustrie?

Dr. Danilo Zatta: Ja und sie zeigen das große Potential von Value Based Pricing auf. Folgende Beispiele stammen aus meinem Buch „Die Preismodell-Revolution“ , in dem noch viele weitere zu finden sind. 

Normalerweise bezahlen wir einen Preis für Medikamente oder Behandlungen, unabhängig davon, ob wir geheilt werden oder nicht.

Johnson & Johnson war eines der ersten Unternehmen, das in der Krebstherapie in England ein Preismodell vorschlug, das auf einem Ergebnis basierte. Wenn sich die Krebstherapie als erfolglos erweist, wird den Patienten die gesamte Summe, die sie für die Behandlung ausgegeben haben, erstattet. Andere Unternehmen haben denselben Weg beschritten.

Der Schweizer multinationale Pharmakonzern Roche bietet personalisierte Rückerstattung, die einen klaren Bruch mit der traditionellen Berechnung nach Tabletten oder anderen Behandlungen darstellt, die auf dem proprietären Modell basierten. Mit diesem neuen Modell reagiert Roche auf den Umstand, dass die Wirkung von Medikamenten variieren kann, abhängig von den Indikationen, also dem individuellen Zustand eines Patienten, der Zusammenwirkung mit anderen Medikamenten und der Reaktion darauf. So passen sich Kunden an die neue Realität an. Roche nennt das Modell Pay-for-Response. Die Berechnung erfolgt auf Grundlage der Reaktion des Patienten auf die Behandlung mit einem bestimmten Pharmaprodukt in einem bestimmten Zeitraum.

Das Pharmaunternehmen Amgen und das Versicherungsunternehmen Harvard Pilgrim haben folgende Vereinbarung getroffen: Harvard Pilgrim profitiert von einem Rabatt, wenn ein Patient, der mit dem Medikament Repatha von Amgen (ein Cholesterinsenker, der einen Herzinfarkt verhindern soll) behandelt wurde, keine erhebliche Verbesserung verzeichnen kann.

Auch Medtronic kann hier als Beispiel genannt werden: „Wir haben fast 1.000 unterzeichnete Verträge, die vom Unternehmen fordern, Krankenhäusern Kosten zu erstatten, falls das Antibakterium Tyrx Infektionen der Patienten nicht verhindern konnte, die eine Herztransplantation bekommen haben“, betont Omar Ishrak, der damalige CEO des Unternehmens. Es gibt ebenfalls eine Erstattungsvereinbarung mit der Aetna Versicherungsgruppe, falls die Diabetes-Erkrankung sich nach einem Wechsel zu einer Behandlung durch Medtronic nicht verbessert. Andere auf einem Ergebnis basierende Verträge werden evaluiert.

GE Healthcare und Philips sind weitere Hersteller, die die Bezahlung an reale Ergebnisse koppeln. Diese Verschiebung zu Verträgen und Partnerschaften, in denen die Monetarisierung auf Ergebnisse abgestimmt ist, ist eine natürliche Entwicklung der umfassenderen Verschiebung hin zu ergebnisbasierter Behandlung.

Vielen Dank für das Gespräch!