Die Gesprächspartner
Prof. Dr. Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.
Dr. Philipp Schwegel ist Strategic Account Manager für die Firma Medtronic, ein multinationales Medizinprodukteunternehmen. Studium und Promotion erfolgten an den Universitäten Bayreuth, Ansbach, Joplin (Missouri, USA) und Aalborg (Dänemark). Vor seiner Tätigkeit bei Medtronic war Philipp als Berater bei Oberender & Partner sowie bei dem Orthopädiekonzern Biomet tätig. Er ist begeisterter Langstreckenläufer und Binnenfischer.
Was versteht man unter intelligenten Medizinprodukten im Vergleich zu traditionellen Medizinprodukten?
Dr. Philipp Schwegel: Traditionell bedeutet ohne Strom und Sensoren. Trotzdem können sie hoch innovativ sein, wie die Beispiele der neusten Generationen von Transkatheterkerzklappen zeigen. Sie sind langlebig, einfach für die Nutzenden einzusetzen, doch leider generieren sie keine Daten. Intelligent sind Medizinprodukte dann, wenn sie therapierelevante Informationen automatisiert generieren, die sich strukturiert analysieren und vernetzten lassen. Algorithmen werden angewendet, um neuronale Netzwerke nachzuahmen für bessere Entscheidungsfindung. Eric Topo, ein amerikanischer KI-Enthusiast, spricht dabei von Deep Medicine.
Könnten Sie uns einige konkrete Beispiele für intelligente Medizinprodukte und deren Anwendungen nennen?
Dr. Philipp Schwegel: Die Vielfalt ist groß und wird immer größer. Dahinter steht der große Trend der Medizinprodukteindustrie hin zu mehr Nutzen für Anwenderinnen und Anwender sowie Patientinnen und Patienten. Ingenieur-Know-how wird ergänzt und angereichert mit IT. Wir sind mitten in der Transformation von einer Hardware- zu einer Softwarebranche. Das World Economic Forum spricht von der vierten industriellen Revolution, die durch KI getrieben wird. Bekannte intelligente Medizinprodukte sind zum Beispiel die Kapselendoskopie mit computergestützter Polypendetektion oder implantierbare Herzmonitorsysteme mit Algorithmen zur Detektion von Herzrhythmusstörungen.
Aktuell erfährt KI und Robotik einen großen Hype. Prognosen mancher Forschungsinstitute gehen davon aus, dass schon bald Dr. Google die Patientin oder den Patienten operieren wird. Wie viel kann in der Medizin automatisiert werden?
Dr. Philipp Schwegel: In beiden Bereichen finden derzeit enorme Innovationen statt. Immer mehr Operationsroboter sind in deutschen Kliniken installiert. Gestartet wurde vor ca. 20 Jahren in der Urologie – vor allem im Hinblick auf die Entfernung der Prostata. Das Einsatzgebiet hat sich mittlerweile deutlich ausgeweitet, auf die Bereiche Gynäkologie, Thorax- und Viszeralchirurgie und Orthopädie. Zwei Technologien sind dabei zu unterscheiden. Nämlich zum einen die roboterassistierten Operationen. Hierbei steuert der Operateur über zwei Handgriffe die Arme bzw. die Instrumente und Kamera des Roboters. Er ist reiner Erfüllungsgehilfe. Eine Automation findet nicht statt. Zum anderen gibt es Roboter, die eigenständig, beispielsweise auf Basis von CT-Bildern und unter zu Hilfenahme einer Navigation, eine Position einnehmen, um z.B. Schrauben in der Wirbelsäule präzise zu platzieren. Hierbei handelt der Roboter in einem beschränkten Handlungsfeld autonom.
Voll automatisierte Operationen in Anlehnung an das autonome Fahren sind aus meiner Sicht nicht wünschenswert. Technisch wären sie sicherlich innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahren umsetzbar, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Operateurinnen und Operateure die Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten vollständig an eine Maschine, sei sie auch noch so intelligent, abgeben werden. Die Teilautomatisierung wird weiter voranschreiben und bisher ungeahnte Level erreichen, aber eben stets unter Verantwortung der Person, die operiert.
Wird es in der Chirurgie zukünftig einen Roboter für alles geben?
Dr. Philipp Schwegel: Davon gehe ich nicht aus. Dafür sind die verschiedenen Fachdisziplinen zu unterschiedlich in ihren chirurgischen Methoden und Instrumenten. High Level unterscheide ich zwischen Hard Tissue und Soft Tissue Systemen. Den Bereich der Pflegeroboter blende ich hier einmal aus. Hard Tissue sind alle Systeme, die mit der Modellierung von Knochen zu tun haben. Das sind die typischen Operationen am Knie, an der Hüfte, der Schulter oder der Wirbelsäule. Soft Tissue ist das gesamte Spektrum der Weichteilchirurgie – Darm, Leber, Pankreas und so weiter. Die einen sägen, schrauben und bohren, die anderen schneiden, versiegeln und nähen.
Meine Vision ist, dass es eine gemeinsame Bedienungsplattform gibt, über die dann die verschiedenen Roboterarme gesteuert werden können. Die Arme sind so flexibel und agnostisch, dass die Instrumente der verschiedenen Hersteller angedockt werden können. Hierfür braucht es Kompatibilität und Standards zwischen den Herstellern. Das sehe ich aktuell leider nicht. Jeder Roboterhersteller versucht, seinen Marktanteil zu halten oder auszubauen. Dafür verspricht der Markt noch zu viel Wachstum. Ich gehe davon aus, dass in zehn Jahren in jedem deutschen Krankenhaus mindestens ein Roboter stehen wird. Diese Schätzung ist sogar eher konservativ, wenn wir davon ausgehen, dass ein System für Knochen und ein zweites System für die Weichteile genutzt werden.
Welche Mehrwerte können intelligente Medizinprodukte für Patientinnen und Patienten bzw. die Kostenträger bieten?
Dr. Philipp Schwegel: Sie erzeugen große Datenmengen zur Beschreibung des Gesundheitszustandes von Patientinnen und Patienten. Mit den entsprechenden Algorithmen lassen sich sehr hohe Produktivitätssteigerungen realisieren. Das zeigt sich vor allem bei der Befundung von Röntgenbildern in der Radiologie. Letztlich sind intelligente Medizinprodukte Tools, die Anwenderinnen und Anwender dabei unterstützen, eine schnellere, präzisere und individuellere Therapie durchzuführen. Das spart dann hoffentlich auch Kosten, den Kostenträgern und der Gesellschaft.
Können intelligente Medizinprodukte Produkte den Launchprozess beschleunigen?
Dr. Philipp Schwegel: Kurzfristig sicherlich nicht, da sie eher die Komplexität der Produkteigenschaften erhöhen. Langfristig bin ich aber überzeugt, dass die zukünftigen Generationen der intelligenten Medizinprodukte auch die Zulassung vereinfachen. Positive Effekte können aufgrund von tatsächlichen, realen Alltagsdaten belegt werden. Zugelassen werde nur noch Produkte, die Patientinnen und Patienten sowie Anwenderinnen und Anwendern einen echten Benefit im Hinblick auf den Therapieerfolg bieten. Die anderen werden nach und nach aussortiert.
Immer mehr Menschen nutzen Wearables, um ihren Gesundheits- bzw. Fitnesslevel zu tracken. Welche Trends erwarten Sie hier?
Dr. Philipp Schwegel: Ich bin selbst begeisterter Nutzer einer Apple Ultra Watch. Und es fasziniert mich, wie einfach ein EKG erstellt werden kann bzw. die Herzfrequenz gemessen werde kann. Auch das Nudging mit kleinen Hinweisen, wieder aufzustehen, um seine täglichen Bewegungsziele zu erreichen, bereichern mein Leben. Ich denke, dass zukünftig die Consumer-Devices mit den Medizinprodukten verschmelzen werden. Beispielsweise erfolgt die Bedienung von Medizinprodukten über Apps auf Tablets oder Smartphones. Oder für den großen Bereich des Telemonitoring bieten sich die Devices mit Sensoren an, um die Patientin oder den Patienten noch früher in das häusliche Umfeld zu entlassen.
Welche Fragestellungen im Hinblick auf Haftung und Datenschutz ergeben sich im Kontext intelligenter Medizinprodukte?
Dr. Philipp Schwegel: Nun bin ich kein Jurist, aber aus Gesprächen mit vielen Anwenderinnen und Anwendern ist die Frage nach der DGSVO-Konformität zentral. Darüber hinaus spielen Zugriffsrechte eine zentrale Rolle: Wer ist Eigentümer der Daten und wo werden die Daten gespeichert? On-Premise versus Cloud wird ebenfalls stark diskutiert.
Vielen Dank für das Gespräch!