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HNU Health­ca­re Ma­nage­ment In­sights #7 

26.01.2024, Dia­lo­ge :

In der Interviewserie befragt Prof. Dr. Patrick Da-Cruz wechselnde Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus dem Gesundheitsbereich. In dieser Folge beantwortet Rechtsanwalt Dr. Dominik Strobl Fragen zu rechtlichen Belangen im Bereich Digital Health. 

Die Ge­sprächs­part­ner

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz

Dr. Dominik Strobl ist Rechtsanwalt der Produktkanzlei in Augsburg und berät Unternehmen zu allen Aspekten aus dem Bereich Life Sciences. Sein Fokus liegt vor allem auf der Heilmittelwerbung, der Healthcare Compliance und allen rechtlichen Facetten der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Daneben veröffentlicht er regelmäßig Fachbeiträge zu medizin- und pharmarechtlichen Themen und ist Dozent im HNU-Bildungsprogramm „Digitalisierung und KI im Gesundheitswesen“.
 

Dr. Dominik Strobl

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen und Regularien spielen im Kontext von e-Health bzw. Digital Health derzeit eine Rolle?

Dr. Strobl: Das e-Health-Recht ist eine Querschnittsmaterie, so dass Normen aus den verschiedensten rechtlichen Bereichen eine Rolle spielen. Sie stammen von verschiedenen Normgebern: So ist beispielsweise für die Regulierung von Medizinprodukten und für den Datenschutz primär der europäische Gesetzgeber maßgebend, während der bundesdeutsche Gesetzgeber etwa die Rahmenbedingungen für konkrete Anwendungen wie digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), die elektronische Patientenakte oder das elektronische Rezept vorgibt. Nicht zuletzt tummeln sich im medizinischen Bereich allerlei untergesetzliche Normgeber. So spielen etwa die Krankenkassen eine entscheidende Rolle bei der elektronischen Patientenakte, der Gemeinsame Bundesausschuss erlässt Regelungen zu Verordnungsfähigkeit bestimmter Leistungen in der Videosprechstunde und der deutsche Ärztetag bzw. die Landesärztekammern müssen über die arztberufsrechtliche Zulässigkeit der Fernbehandlung entscheiden.

Diese Beispiele zeigen, dass man mit einem verschränkten Rechtsrahmen konfrontiert ist, in dem die einzelnen Rädchen oft genug nicht ineinandergreifen. Die entscheidendsten rechtlichen Rahmenbedingungen liegen meiner Meinung nach im Recht der Erstattung und Vergütung, im Medizinprodukterecht und im Datenschutzrecht. Gerade die Datenschutz-Grundverordnung und die Medizinprodukte-Verordnung sind als recht junge Normen noch der weiteren Ausgestaltung durch Interpretationshilfen und insbesondere die Rechtsprechung unterworfen, so dass die weitere Entwicklung spannend zu beobachten sein wird. Daneben werden immer mehr konkrete Anwendungen, wie aktuell etwa das elektronische Rezept, in die Versorgung implementiert. Grundlage ist dabei meist das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Zudem finden stets Themen wie die Heilmittelwerbung und die Haftung (Produkthaftung, aber auch Haftung des Behandelnden) Einschlag.

Welche entscheidenden Hürden muss eine neue digitale Gesundheitslösung im Hinblick auf den Marktzutritt nehmen? Worauf ist bei der Entwicklung zu achten?

Dr. Strobl: Es kommt darauf an. Einige rechtliche Anforderungen, wie etwa der Datenschutz, gelten grundsätzlich für alle digitalen Gesundheitslösungen. Daneben ist in regulatorischer Hinsicht entscheidend, ob ein Medizinprodukt vorliegt oder nicht. Ist die Gesundheitslösung ein Medizinprodukt, unterliegt sie vielgestaltigen rechtlichen Anforderungen. Insbesondere muss ein Medizinprodukt zertifiziert werden, bevor es in den Verkehr gebracht werden darf. Das Interessante: Hersteller können in gewissem Maße selbst bestimmen, ob sie ein Medizinprodukt auf den Markt bringen oder nicht, weil sie dem Produkt, etwa durch die Bewerbung, die medizinische (zum Beispiel diagnostische oder therapeutische) Zweckbestimmung geben, die es gerade zum Medizinprodukt macht. Gerade in Grauzonen wie der Abgrenzung zu Wellness- bzw. Lifestyle-Anwendungen können Hersteller hier also die regulatorische Einordnung steuern. Daher ist unbedingt schon zu Beginn des Entwicklungsprozesses zu entscheiden, ob die digitale Gesundheitslösung ein Medizinprodukt werden soll oder nicht.

Neben der regulatorischen Frage des Marktzugangs ist vor allem die Dimension der Vergütung bzw. Erstattung in den Blick zu nehmen. Aus Sicht des Herstellers ist natürlich von vornherein von entscheidender Bedeutung, dass das Produkt vergütet wird, also dass er oder ggf. zwischengeschaltete Nutzer durch den Patienten oder Kostenträger bezahlt werden. Im Optimalfall wird das Produkt zur „Kassenleistung“, wird also von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. Dies ist zum Beispiel bei den im „DiGA-Verzeichnis“ gelisteten Apps der Fall.

Daneben kommt es vor allem auf die Funktionsweise des geplanten Produkts an. Hier müssen sich Entwickler frühzeitig mit dem jeweiligen derzeitigen und auch dem künftigen Regelungsumfeld vertraut machen: Gibt es möglicherweise für Ärzte berufsrechtliche Hürden, das Produkt einzusetzen? Was sagen die Fachgesellschaften zu einer etwaigen Fernbehandlung? Gibt es bestimmte Anwendungen, wie etwa die elektronische Patientenakte, hinsichtlich der Interoperabilität hergestellt werden sollte? Kommt es zu einer Datenweitergabe, die ggf. der ärztlichen Schweigepflicht zuwiderläuft? Welche umsatzsteuerrechtlichen Auswirkungen hat das Konzept (vor allem im Hinblick auf eine mögliche Umsatzsteuerbefreiung aus § 4 Nr. 14 UstG)? Stehen im Hinblick auf die Funktionsweise Haftungsrisiken im Raum? Und so weiter, und so fort.

Mittlerweile gibt es seit einigen Jahren die „App auf Rezept“. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus? Was ist für die Zukunft zu erwarten?

Dr. Strobl: Seit September 2020 können bestimmte digitale Medizinprodukte, nämlich digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), zu Lasten der GKV verordnet werden. Diese stellen gerade im Hinblick auf die Kostenerstattung durchaus eine krankenversicherungsrechtliche Besonderheit dar – es war wohl selten einfacher, an GKV-Gelder zu kommen.

Dementsprechend muss das Urteil auch gemischt ausfallen. Das mit der Einführung und insbesondere den verschiedenen rechtlichen Privilegierungen verbundene Ziel, rasch „Apps auf Rezept“ in die Versorgungsrealität zu implementieren, wurde erreicht. Derzeit (01/2024) sind immerhin 58 Apps im DiGA-Verzeichnis gelistet, fast die Hälfte hiervon im Bereich „Psyche“, in welchem unzweifelhaft Engpässe in der Versorgung bestehen. Die Zahl der DiGA und der eingelösten Freischaltcodes steigt auch stetig. Dieses Zwischenergebnis wurde jedoch teuer erkauft. Dies liegt zum einen daran, dass Hersteller den Preis für ihre DiGA im ersten Jahr grundsätzlich frei bestimmen dürfen, was dazu führt, dass die Aufwendungen der GKV nicht mit positiven Einflüssen auf die Versorgung korrelieren. Zum anderen können DiGA auch vorläufig in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen und daher der Erstattung durch die GKV zugeführt werden, ohne dass zu diesem Zeitpunkt positive Versorgungseffekte nachgewiesen sind.

Die Gesundheitspolitik hat insbesondere das Problem der freien Bepreisung erkannt und schon durch die DiGA-Rahmenvereinbarung adressiert. Auch das im Dezember 2023 beschlossene Digital-Gesetz beschränkt die freie Bepreisung, künftig soll die Preisgestaltung stärker an Erfolgskriterien ausgerichtet sein. Daneben hält das Digital-Gesetz einige weitere Nachjustierungen für DiGA bereit, was darauf schließen lässt, dass der Gesetzgeber vom Konzept der „App auf Rezept“ weiterhin überzeugt ist.

Welche aktuellen Entwicklungen gibt es für das Gesundheitswesen im Bereich KI zu berichten? Wo liegen in diesem Bereich die künftigen rechtlichen Herausforderungen?

Dr. Strobl: Klar ist, dass der rechtliche Umgang mit der KI auch und insbesondere für medizinische Anwendungsfälle relevant ist. Schließlich besteht beispielsweise für Diagnostik oder Therapieentscheidungen ein Interesse daran, dass die Aussage einer KI einerseits fachlich höchsten Standards genügt und andererseits in gewisser Weise nachzuvollziehen ist. Gleichzeitig bietet die KI gerade für solche Entscheidungen ein enormes Potenzial zur Steigerung der Versorgungsqualität. Es gilt zu beobachten, wie die KI-Verordnung, zu der jüngst im Trilog-Verfahren eine Einigung erzielt wurde, auf medizinische Anwendungen Einfluss nimmt.

Daneben wirft die KI im medizinischen Bereich vor allem in zwei Bereichen rechtliche Fragestellungen auf. Zum einen geht es um die für den Marktzugang notwendige medizinprodukterechtliche Zertifizierung, also die Bewertung im Hinblick auf Sicherheit und Leistungsfähigkeit. Diese bezieht sich zwangsläufig auf einen bestimmten zu bewertenden Zeitpunkt bzw. technischem Stand des Produkts. Eine sich weiterentwickelnde Software wirft hier natürlich die Frage auf, wie bzw. was überhaupt zertifiziert werden soll. Derzeit ist noch umstritten, welche KI-Arten medizinprodukterechtlich zertifizierbar sind. Daneben stellt sich die Frage, wer für die (medizinische) Aussage einer KI haftet. Hier scheint die künftige Rechtslage noch vergleichsweise offen zu sein, insbesondere wird die im September 2022 vorgeschlagene europäische KI-Haftungsrichtlinie derzeit wohl nicht weiterverhandelt.

Welche anderen rechtlichen Herausforderungen stehen im Bereich e-Health bzw. Digital Health ins Haus?

Dr. Strobl: Weiterer Regulierungsbedarf besteht an vielen Stellen. So sind die im „E-Health-Gesetz“ von 2015 anvisierten Anwendungen immer noch nicht vollständig in der Versorgungsrealität angekommen, auch wenn hier zuletzt etwa im Hinblick auf die elektronische Patientenakte und das elektronische Rezept das Tempo spürbar angezogen wurde. Daneben gilt es in den kommenden Jahren diverse antiquierte Regelungen des Medizinrechts an ein zunehmend digitalisiertes Gesundheitswesen anzupassen. Dies gilt beispielsweise im Hinblick auf den Arztvorbehalt bzw. Heilberufsvorbehalt, die derzeit bestimmte medizinische Maßnahmen/Entscheidungen Ärztinnen und Ärzten bzw. Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern vorbehalten. Hier ist eine gerichtliche oder gesetzgeberische Entscheidung wünschenswert, die klärt, ob dieser Vorbehalt auch für von Maschinen oder Software „ausgeführte“ Handlungen greift. Ein weiteres Thema sind die Vorgaben zur Abrechnung bzw. Kostenerstattung, die derzeit allzu oft noch eine analoge Welt vor Augen haben und die Abrechenbarkeit unnötig erschweren. Auch sind Vorgaben zur Qualitätssicherung bisweilen noch nicht an eine zunehmend digitalisierte Versorgungswelt angepasst. Hier sollten modernere Regelungen, die für Rechtssicherheit sorgen, eingeführt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!