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HNU Health­ca­re Ma­nage­ment In­sights #5

23.08.2023, Dia­lo­ge :

In der Interviewserie befragt Prof. Dr. Patrick Da-Cruz wechselnde Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus dem Gesundheitsbereich. Diesmal im Fokus: das Thema Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Andreas Burkhardt, u.a. Geschäftsführer von Ratiopharm und Teva, erläutert die Hintergründe. 

Die Ge­sprächs­part­ner

Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz

Andreas Burkhardt ist General Manager von Teva Deutschland und Österreich. In dieser Position verantwortet er unter anderem die Arzneimittelmarke ratiopharm, die seit 2010 Teil des israelischen Pharmaunternehmens ist. Vor seiner Ernennung zum General Manager war er über 15 Jahre in verschiedenen leitenden Funktionen bei Teva tätig, zuletzt als Geschäftsführer der Generika-Sparte. Darüber hinaus ist Andreas Burkhardt Vorstandsvorsitzender von proGenerika, dem Verband der Generika- und Biosimilarunternehmen in Deutschland. Er hat die lokale Initiative Donautal Connect am Teva-Standort Ulm ins Leben gerufen, die die Interessen der Unternehmen im Industriegebiet Donautal vertritt. 

Porträtfoto von Andreas Burkhardt
Andreas Burkhardt

Welche Relevanz hat das Thema Lieferengpässe in der Arzneimittelversorgung derzeit?

Andreas Burkhardt: Lieferengpässe sind nach wie vor ein zentrales Thema – leider. Noch immer stehen Patientinnen und Patienten in der Apotheke vor leeren Regalen und dringend benötigte Medikamente sind nicht verfügbar. Dabei geht es nicht nur um Schmerzmittel und Nasenspray, sondern auch um Antibiotika und Medikamente zur Krebstherapie. Wir haben es also mit einem umfassenden Problem zu tun, das nahezu alle Bereiche betrifft.

Welche Konsequenzen haben die Engpässe für die Patientenversorgung?

Andreas Burkhardt: Die Versorgungssicherheit bei Medikamenten steht zunehmend auf wackeligen Beinen, immer wieder sind verschiedene Präparate schlicht nicht verfügbar. Für Patienten, die auf ein Medikament angewiesen sind, ist das natürlich eine Katastrophe. Für uns als Produzent ebenfalls, denn unser Anspruch und unsere Aufgabe ist ja genau das: den Menschen die benötigten Medikamente zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus sind Lieferengpässe natürlich auch aus ökonomischer Sicht der worst case.

Worin sehen Sie die zentralen Ursachen für die Engpässe?

Andreas Burkhardt: Leider gibt es nicht das eine Rädchen, an dem man drehen kann. Das Problem ist vielschichtig, verschiedene Aspekte spielen eine Rolle. Dazu gehören globale Lieferketten-Problematiken und Beschaffungsprobleme bei Wirkstoffen und Hilfsstoffen gleichermaßen. Fachkräftemangel und Personalausfälle spielen ebenfalls eine Rolle. In der Kombination mit kurzfristigen Schwankungen in der Nachfrage, etwa weil ein Hersteller ausfällt oder die Grippesaison ungewöhnlich lange dauert, kann das dann schnell zu Lieferengpässen führen. Die bestehende Preispolitik in Deutschland verschärft die Situation zusätzlich. Verschiedene Instrumente, wie etwa die Rabattverträge, drücken den Preis immer weiter nach unten – so lange, bis die Produktion nahezu ein Verlustgeschäft wird und immer mehr Hersteller aussteigen. Die gesamte Versorgung müssen dann, wie beim Paracetamol-Saft, ein paar wenige Produzenten schultern. Das hält keiner lange durch.

Wie ist in diesem Zusammenhang das jüngst beschlossene Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) zu bewerten?

Andreas Burkhardt: Grundsätzlich bin ich froh, dass die Politik das Problem endlich erkannt hat und gegensteuern will, dafür kämpfen wir seit Jahren. Allerdings werden die verabschiedeten Maßnahmen die Probleme nicht lösen. Das ganze System ist nicht gesund und deshalb braucht es mehr Entschlossenheit und Konsequenz. Das heißt konkret: Das Preissystem nur für sehr wenige, ausgewählte Medikamente anzupassen, ist nicht zielführend. Die verpflichtende sechsmonatige Lagerhaltung befeuert die Engpässe zusätzlich, statt die Regale in den Apotheken zu füllen. Das Gesetz greift also viel zu kurz und wird nicht verhindern, dass sich Pharmaunternehmen weiterhin aus der Versorgung zurückziehen.

Wie sehen Sie die Zukunft des Pharmastandorts Deutschlands? 

Andreas Burkhardt: Aktuell ist Deutschland für viele Hersteller als Produktionsstandort wenig attraktiv und vor allem aus Kostengründen nicht immer die erste Wahl. Der Preisdruck in der Branche ist enorm. Wenn wir in Deutschland wieder in der Lage sein wollen, eine flächendeckende Versorgung mit allen wichtigen Medikamenten sicherzustellen, muss die Politik schleunigst reagieren und die Rahmenbedingungen anpassen. Man könnte die lokale Produktion auch durch konkrete Zusagen unterstützen, indem die Politik bestimmte Abnahmemengen garantiert. Kurz- und mittelfristig gilt es, die verbliebenen Produktionsorte zu stärken.

Vielen Dank für das Gespräch!