Zu allen Artikeln

HNU Health­ca­re Ma­nage­ment In­sights #4

11.08.2023, Dia­lo­ge :

In der Interviewserie befragt Prof. Dr. Patrick Da-Cruz wechselnde Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus dem Gesundheitsbereich. In der aktuellen Folge spricht er erneut mit Prof. Dr. Roger Jaeckel  – dieses Mal zum Stand der Krankenhausreform in Deutschland.

Die Ge­sprächs­part­ner

Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz

Roger Jaeckel ist Honorarprofessor an der Fakultät Gesundheitsmanagement und seit 2004 in leitender Funktion in der Gesundheitsindustrie mit Schwerpunkt Gesundheitspolitik, Market und Patient Access tätig. Darüber hinaus ist er Beiratsvorsitzender der HNU in der MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und Publikationen die Themen Gesundheitspolitik und -versorgung betreffend, u.a. Mitherausgeber von zwei Fachbüchern „Market Access im Gesundheitswesen“.

Prof. Dr. Roger Jaeckel

Bund und Länder haben sich nach über sechs Monaten zähen Ringens am 10. Juli 2023 schlussendlich auf Eckpunkte verständigt, die den Weg der künftigen Krankenhausversorgung weisen sollen. Wie fällt Ihre erste Bewertung zum aktuell vorliegenden Eckpunktepapier spontan aus?

Prof. Jaeckel: Als erstes hat sich der politische Einigungswillen durchgesetzt, eine solche grundlegende Krankenhausreform auf den Weg zu bringen. Dafür war der politische Druck sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene zu groß, sich im Kern einigen zu müssen. Ein Scheitern dieser Reform wäre tatsächlich keine Option gewesen, sich dieser politischen Verantwortung zu entziehen. Ob am Ende die konsentierten Eckpunkte tatsächlich eine Sternstunde der deutschen Gesundheitspolitik bedeuten, wird sich im Verlauf der praktischen Umsetzung noch erweisen müssen.

Gab es für Sie einige Überraschungsmomente auf dem Weg zu diesem Ergebnis?

Prof. Jaeckel: Zum einen gab es eine Nein-Stimme aus Bayern und eine Enthaltung aus Schleswig-Holstein, was für eine Mehrheitsentscheidung der Länder aber unerheblich war. Zum anderen wurde der Knoten um die Einführung von Krankenhaus-Leveln dadurch aufgelöst, indem dieser Punkt mit Ausnahme der „Level Ii-Krankenhäuser“ [sektorenübergreifende Versorger; Anm. d. Red.]  aus den Eckpunkten herausgelöst wurde und in einem gesonderten „Qualitätstransparenzgesetz“ zeitlich parallel vom Bund und ohne Mitwirkung der Länder in ein formales Gesetzgebungsverfahren eingebracht wird. Dieses Vorgehen ist formal zulässig. Bei den Level „Ii-Krankenhäusern“ haben die Länder ihre Handschrift hinterlassen, so dass das Bemühen um eine sektorenübergreifende Patientenversorgung dadurch neuen Auftrieb erfahren dürfte. Hier wird es im weiteren Gesetzgebungsverfahren vor allem darauf ankommen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen sinnvoll ausgestaltet werden und vor allem die relevanten Finanzierungsfragen als Anreiz für künftige Standortbetreiber dienen.

Wie muss man sich die Umsetzung der einzelnen Reformelemente konkret vorstellen?

Prof. Jaeckel: Stark verkürzt bilden die sog. Leistungsgruppen das Herzstück dieser Reform. Bis spätestens Ende 2025 müssen die Länder ihren Krankenhäusern per Feststellungsbescheid die krankenhausindividuellen Leistungsgruppen zugewiesen haben. Auf dieser Basis bekommen die Krankenhäuser zunächst in pauschalierter Form ihr Vorhaltebudget für zwei Jahre zugewiesen, also frühestens ab 2025 und spätestens ab 2026, je nachdem wie schnell die Länder diese Leistungsgruppenzuordnung umgesetzt bekommen. Der Budgetanteil für die Vorhaltefinanzierung soll einschließlich der Pflegepersonalkosten durchschnittlich 60% des Gesamtbudgets betragen.

Die künftig neue Form der Vorhaltefinanzierung baut auf den tatsächlich zugewiesenen Leistungsgruppen auf, wobei leistungssensible Bereiche wie Stroke Units, Intensivmedizin oder auch die (stationäre) Notfallversorgung einen nach Leistungsumfang gestaffelten Zuschlag erhalten werden, um die Vorhaltung dieser Leistungsangebote nach Möglichkeit kostendeckend anbieten zu können. In einer mehrjährigen Konvergenzphase wird das individuelle Gesamtbudget eines Krankenhauses dann sukzessive scharf geschaltet.

Gibt es schon konkrete Erkenntnisse, wie sich die stationäre und ambulante Versorgungslandschaft in den kommenden Jahren entwickeln wird?

Es ist kein großes Geheimnis, dass sich die Anzahl der Krankenhäuser nach unten verändern wird und zwar mit oder ohne Krankenhausreform. Leistungskonzentrationen bringen zwangsläufig Standortkonzentrationen mit sich. Dies stellt insbesondere große Flächenländer mit vielen kleinen Krankenhausstandorten vor große planerische, finanzielle und auch personelle Herausforderungen. Das Konstrukt von Level Ii-Krankenhäusern kann eine Chance sein, versorgungsrelevante und sektorenübergreifende Behandlungsangebote entstehen zu lassen. Allerdings müssen wirtschaftlich tragfähige Konzepte die Lösung sein, sonst wird der erforderliche Strukturwandel an dieser Stelle nicht gelingen. Gleichzeitig erhält auch der ambulante Sektor die Möglichkeit, sich sektorenübergreifenden Versorgungsangeboten anzunehmen. Hier könnten beispielsweise Medizinische Versorgungszentren (MVZ) eine strukturprägende Rolle einnehmen. Bei dem Thema ambulant/stationär stehen wir erst am Anfang eines Strukturwandels. Die Bundesländer haben es nach diesen Eckpunkten jedoch selbst in der Hand, diesen Prozess unter länderspezifischen Bedingungen intensiv voranzutreiben und zu entwickeln.

Gibt es in dieser Phase pragmatische Ratschläge für die betroffenen Krankenhäuser?

Prof. Jaeckel: Eine „One-size-fits-all“-Lösung gibt es für Krankenhäuser aufgrund der regional sehr unterschiedlichen Strukturen und Versorgungsbedingungen leider nicht. Zum einen wird man nicht umhinkommen, diesen langwierigen Reformprozess engmaschig zu begleiten, um frühzeitig auf sich abzeichnende Veränderungsprozesse adäquat reagieren zu können. Zum anderen wird mit dieser Krankenhausreform ein noch nie da gewesener Transformationsprozess angestoßen, der bei den Beschäftigten nicht nur ankommen muss – sie müssen bei dieser Reise im Sinne einer agilen Organisation auch mitgenommen werden. Dies könnte in Zeiten des Fachkräftemangels auch eine neue Chance der Mitarbeiterbindung bewirken. Mit der Krankenhausreform 2024 beginnt auch im Krankenhaussektor eine nachhaltig wirkende Zeitenwende mit allen Konsequenzen.

Vielen Dank für das Gespräch!