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HNU Healthcare Management Insights #27

19.02.2025, Dialoge:

In der Interviewserie befragt Prof. Dr. Patrick Da-Cruz wechselnde Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus dem Gesundheitsbereich. In der aktuellen Folge spricht er mit seinem HNU-Kollegen Dr. Felix Holl über mobile Gesundheitsanwendungen.

Die Gesprächspartner

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz

Dr. Felix Holl ist Postdoktorand und stellvertretender Leiter des Instituts DigiHealth an der HNU. 2023 schloss er seine Promotion zum Dr. rer. biol. hum. an der Ludwig-Maximilians-Universität ab. Er hat einen Hintergrund in medizinischer Informatik und hat als Fulbright-Stipendiat einen Master in Global Health Sciences an der University of California, San Francisco absolviert. Zusätzlich hat er ein Postgraduiertenstudium in Public Health an der UMIT in Österreich abgeschlossen. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Bewertung von Medizininformatikprojekten und der Einsatz von Informatik in Global Health. Er ist Mitglied des Editorial Boards von Sage Digital Health und BMC Digital Health sowie Vorsitzender der Global Health Informatics Arbeitsgruppe der American Medical Informatics Association. Dr. Holl verfügt über langjährige Erfahrung im Rettungsdienst und ist nebenberuflicher Berater für Health Information Systems für die Auslandshilfe des Deutschen Roten Kreuzes. Zudem ist er als Dozent im Weiterbildungsprogramm „Digitalisierung und KI im Gesundheitswesen“ der HNU tätig. 

Dr. Felix Holl

Welche Rolle spielen mobile Gesundheitsanwendungen derzeit in der Praxis?

Dr. Felix Holl: Mobile Gesundheitsanwendungen spielen eine zunehmende Rolle in der Praxis. Durch das Digitale Versorgungsgesetz haben seit 2019 alle gesetzlich Versicherten in Deutschland den gesetzlichen Anspruch, von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) verschrieben zu bekommen. Diese sogenannten „Apps auf Rezept“ können Patientinnen und Patienten dabei unterstützen, ihre Gesundheit besser zu managen – sei es durch digitale Therapieunterstützung, Monitoring chronischer Erkrankungen oder präventive Maßnahmen.

Neben den DiGAs gibt es eine Vielzahl weiterer mobiler Gesundheitsanwendungen, die sich nicht nur an Patientinnen und Patienten, sondern auch an medizinisches Fachpersonal richten. Diese reichen von Telemedizin-Plattformen über digitale Entscheidungsunterstützungssysteme bis hin zu mobilen Lösungen zur Datenerfassung und -analyse in der klinischen Forschung.

In der Praxis zeigt sich jedoch, dass der flächendeckende Einsatz mobiler Gesundheitsanwendungen noch von mehreren Herausforderungen begleitet wird. Dazu zählen unter anderem Fragen der Datensicherheit, Interoperabilität mit bestehenden IT-Systemen und die tatsächliche Nutzung durch Patientinnen und Patienten sowie das medizinische Personal.

Welche Methoden eignen sich, um den Patientennutzen zu messen?

Dr. Felix Holl: Die Evaluation des Patientennutzens ist essenziell, um den Mehrwert mobiler Gesundheitsanwendungen nachzuweisen, damit Patienten von den Anwendungen profizieren und das Gesundheitswesen nur für Anwendungen bezahlt, die einen Nutzen haben.

Dafür gibt es verschiedene Methoden:

  • Klinische Studien und randomisierte kontrollierte Studien (RCTs): Diese gelten als Goldstandard, um die Wirksamkeit einer Anwendung wissenschaftlich fundiert zu belegen. Sie ermöglichen einen Vergleich zwischen Nutzergruppen und einer Kontrollgruppe, um den spezifischen Einfluss der App auf den Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten zu messen. Jedoch sind sie teuer und brauchen lange. Bis die Ergebnisse vorliegen, ist die Anwendung vielleicht schon veraltet oder aktualisiert worden.
  • Real-World Evidence (RWE) und Versorgungsforschung: Neben RCTs spielen zunehmend methodisch robust angelegte Beobachtungsstudien eine Rolle, die die Anwendung im realen Versorgungsalltag analysieren. Dabei werden Routinedaten, Nutzungsstatistiken oder digitale Gesundheitsdaten genutzt, um Erkenntnisse über den langfristigen Nutzen zu gewinnen.
  • Nutzeranalysen und Engagement-Daten: Das Nutzungsverhalten innerhalb der App (z.B. Verweildauer, regelmäßige Anwendung, Interaktion mit Funktionen) kann Rückschlüsse darauf geben, wie gut die Anwendung angenommen wird und ob sie langfristig genutzt wird.

Welche Faktoren sind aus Ihrer Sicht am wichtigsten, um eine hohe Akzeptanz bei den Anwenderinnen und Anwendern sicherzustellen, und wie lassen sich diese messen?

Dr. Felix Holl: Die Akzeptanz mobiler Gesundheitsanwendungen hängt von mehreren Faktoren ab:

  • Benutzerfreundlichkeit und intuitive Bedienung: Eine einfache, barrierefreie Gestaltung und ein ansprechendes Design sind entscheidend, damit Nutzerinnen und Nutzer die App langfristig verwenden.
  • Evidenzbasierte Wirksamkeit: Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte akzeptieren eine Anwendung eher, wenn ihre Wirksamkeit durch Studien belegt ist. Dies lässt sich durch klinische Evaluationsstudien belegen.
  • Datenschutz und Sicherheit: Gerade im Gesundheitsbereich ist Vertrauen in den Schutz persönlicher Daten essenziell. Um die Akzeptanz zu erhöhen, müssen Anwendungen höchste Datenschutzstandards (z. B. DSGVO-Konformität) einhalten.
  • Integration in bestehende Versorgungsstrukturen: Anwendungen müssen sich nahtlos in den Versorgungsalltag integrieren lassen. Schnittstellen zu elektronischen Patientenakten oder zur Arztpraxis-Software sind dabei entscheidend.
  • Langfristiger Nutzen für die Nutzerinnen und Nutzer: Eine App sollte einen echten Mehrwert bieten, sei es durch eine Verbesserung des Gesundheitszustands oder eine Entlastung im Alltag. Dies kann durch Langzeitanalysen und qualitative Nutzerstudien überprüft werden.

Welche Trends und Entwicklungen im Bereich Mobile Health sehen Sie in den kommenden Jahren?

Dr. Felix Holl: Die Mobile-Health-Landschaft entwickelt sich rasant weiter. Einige zentrale Trends sind:

  • Künstliche Intelligenz (KI) in der personalisierten Medizin: KI-gestützte Algorithmen ermöglichen eine individuelle Anpassung von Therapien und präventiven Maßnahmen auf Basis großer Datenmengen.
  • Interoperabilität und nahtlose Integration in Gesundheitssysteme: Zukünftig wird es entscheidend sein, dass mobile Gesundheitsanwendungen besser mit bestehenden IT-Infrastrukturen (z.B. der elektronischen Patientenakte) vernetzt werden.
  • Wearable-Technologie und kontinuierliches Monitoring: Die Verknüpfung von Gesundheits-Apps mit Wearables (z.B. Smartwatches, Blutzuckersensoren) wird die personalisierte Gesundheitsversorgung weiter verbessern.
  • Regulatorische Weiterentwicklung und neue Erstattungsmodelle: In Deutschland und international werden sich regulatorische Rahmenbedingungen weiterentwickeln, um Innovationen schneller in die Versorgung zu bringen.
  • Hybride Versorgungsmodelle: Die Kombination aus digitalen Lösungen und persönlicher Betreuung wird weiter an Bedeutung gewinnen, z.B. in Form von Blended-Care-Ansätzen in der Psychotherapie.

Welchen Beitrag können Evaluationen leisten, um innovative Technologien schneller und zielgerichteter in die Gesundheitsversorgung zu integrieren?

Dr. Felix Holl: Evaluationen sind ein essenzieller Bestandteil, um innovative Technologien nicht nur schneller, sondern auch sicher und evidenzbasiert in die Gesundheitsversorgung zu integrieren. Sie ermöglichen es, sowohl Chancen als auch potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen.

  • Frühe Nutzenbewertung und iterative Verbesserung: Durch agile Evaluationsansätze, wie z.B. Pilotstudien oder User-Feedback-Analysen, können Anwendungen bereits in frühen Entwicklungsphasen optimiert werden.
  • Nachweis der Wirksamkeit für die Erstattung: Gesundheitssysteme und Krankenkassen verlangen zunehmend einen evidenzbasierten Nutzennachweis. Evaluationen tragen dazu bei, eine wissenschaftliche Basis für die Kostenerstattung zu schaffen.
  • Langfristige Begleitforschung zur Versorgungsintegration: Evaluationen sollten nicht nur den kurzfristigen Nutzen, sondern auch langfristige Effekte auf die Gesundheitsversorgung untersuchen. Hier spielen Registerstudien und Langzeitkohorten eine wichtige Rolle.
  • Akzeptanz und Nutzerzentrierung: Evaluationsprozesse können dazu beitragen, Nutzerbedürfnisse besser zu verstehen und sicherzustellen, dass digitale Gesundheitsanwendungen wirklich praktikabel und hilfreich sind.

Durch eine solide evidenzbasierte Evaluation kann die Gesundheitsversorgung nicht nur innovativer, sondern auch effektiver und patientenzentrierter gestaltet werden.

Vielen Dank für das Gespräch!