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HNU Health­ca­re Ma­nage­ment In­sights #14

29.04.2024, Dia­lo­ge :

In der Interviewserie befragt Prof. Dr. Patrick Da-Cruz wechselnde Expertinnen und Experten zu aktuellen Themen aus dem Gesundheitsbereich. Die neueste Folge mit Interviewgast Miriam Moser dreht sich um das Thema Digitale Führung in Pflege und Gesundheitsberufen.

Die Ge­sprächs­part­ner

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement an der Fakultät Gesundheitsmanagement der Hochschule Neu-Ulm (HNU) sowie wissenschaftlicher Leiter des MBA-Programms Führung und Management im Gesundheitswesen.
Vor seiner Tätigkeit an der HNU war Herr Da-Cruz bei namhaften Strategieberatungen im Bereich Pharma / Healthcare sowie in Führungsfunktionen in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft im In- und Ausland tätig.

Prof. Dr. Patrick Da-Cruz

Miriam Moser ist seit 2022 Unternehmensberaterin. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich Gesundheits- und Pflegeversorgung und Digital Health im D-A-CH-Gebiet. Zudem ist Miriam Moser LinkedIn-Bloggerin, Dozentin an diversen Hochschulen sowie an Fortbildungsinstituten für Führungskräfte im Gesundheitswesen, Keynote Speaker und Autorin.

Miriam Moser

Welche Rolle spielen digitale Strategien derzeit in der Pflege?

Miriam Moser: Aktuell spielen digitale Strategien in der Pflege leider noch eine sehr untergeordnete Rolle. Obwohl es in Deutschland eine Digitalstrategie gibt, die auch die Gesundheitsversorgung und Pflege miteinbeziehen soll, ist diese im Praxisbereich kaum angekommen oder thematisiert worden. Meiner Erfahrung nach waren der Enthusiasmus und die Bereitschaft zur digitalen Transformation vor zwei Jahren stärker ausgeprägt als im vergangenen Jahr. Jedoch müssen wir auch die Herausforderungen berücksichtigen, denen Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen gegenüberstehen, wie den Fachkräftemangel, Sparmaßnahmen und Pleitewellen. 

Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz in Deutschland bietet leider nur begrenzte finanzielle Mittel, was die Situation weiter erschwert. Es ist daher dringend erforderlich, Innovationen in der Pflege zu fördern und die Kompetenzen der Pflegekräfte zu stärken. Denn letztendlich müssen die Menschen in der Lage sein, die Technologie zu verstehen und zu nutzen, um die Pflegebedürftigen optimal zu unterstützen.

Die digitale Pflegeanwendung (Dipa), die pflegende Angehörige unterstützen soll, ist bisher noch nicht verfügbar, obwohl allein in Deutschland bereits fünf Millionen pflegende Angehörige existieren. Es gibt also noch viel zu tun, um die Gesundheits- und Pflegelandschaft zu stärken und die Digitalisierung voranzutreiben.

Warum ist Digitale Führung im Gesundheitswesen von besonderer Relevanz?

Miriam Moser: Die Integration von Führungskräften im Gesundheitswesen ist von entscheidender Bedeutung, da sie den Kurs für die digitale Transformation maßgeblich prägen können. Hier sind fünf zentrale Aspekte zu berücksichtigen. Nämlich:

  • Langfristige Unternehmensführung: Angesichts des starken Wettbewerbsdrucks und des globalen Fachkräftemangels ist es für Führungskräfte entscheidend, das Unternehmen langfristig erfolgreich zu führen und durch Investitionen in Innovation konkurrenzfähig zu bleiben.
  • Kompetenzaufbau: Oftmals fehlen Führungskräften die notwendigen Fertigkeiten und Kenntnisse, um die digitale Transformation voranzutreiben. Daher sind Schulungen und der Aufbau digitaler Kompetenzen von zentraler Bedeutung.
  • Verbesserung der Rahmenbedingungen: Eine flexible Infrastruktur und maßgeschneiderte Lösungen sind unerlässlich, um die Voraussetzungen für die Nutzung digitaler Angebote zu verbessern und so die Arbeit für Führungskräfte zu erleichtern sowie die Effizienz zu steigern.
  • Notwendigkeit der CEO-Beteiligung: Die CEOs müssen als Vorreiter der digitalen Transformation agieren und eine klare Vision für den Wandel haben. Ohne ihre Unterstützung und Führung ist es schwierig, die notwendigen Veränderungen erfolgreich umzusetzen.
  • Förderung eines Wachstums-Mindsets: Führungskräfte müssen bereit sein, neue Wege zu gehen und aus Fehlern zu lernen, um die digitale Transformation erfolgreich zu bewältigen. Ein ständiges Streben nach Wachstum ist unerlässlich, um den bevorstehenden Herausforderungen wie dem demografischen Wandel, Fachkräftemangel und erhöhten Gesundheitsausgaben zu begegnen.

Fazit: Führungskräfte sind von zentraler Bedeutung, da sie bessere Arbeitsbedingungen für Mitarbeitende ermöglichen, eine bessere Versorgung für Patientinnen und Patienten gewährleisten und die wirtschaftliche Situation verbessern können. Ohne eine gewisse digitale Kompetenz und den Willen zur echten Transformation seitens der Führungsetage wird es schwer sein, die großen Herausforderungen erfolgreich zu meistern.

Welche Anforderungen stellt die Generation Z an Führungskräfte im Gesundheitswesen?

Miriam Moser: Als Führungskraft ist es essenziell, sich intensiv mit den Bedürfnissen der Mitarbeiter*innen auseinanderzusetzen und von ihnen zu lernen. Die Generation Z legt spezifische Prioritäten in Bezug auf Führungskräfte im Gesundheitswesen fest. Gemäß einer ver.di-Studie sind weniger als 43 % der Auszubildenden mit ihrer Pflegeausbildung zufrieden. Im Jahr 2023 brach sogar jeder zweite Azubi in NRW die Pflegeausbildung ab. Viele beklagen hohen Zeitdruck (62 Prozent), mangelnde Work-Life-Balance (48 Prozent) und fehlende Pausen (43 Prozent). Über 58 Prozent haben immer oder oft Schwierigkeiten, sich in ihrer Freizeit zu erholen – eine Verdoppelung gegenüber 2015 und deutlich mehr als in anderen Berufen. Zusätzlich berichten über 43 Prozent der Auszubildenden, selten oder nie von Praxisanleitungen an ihre beruflichen Aufgaben herangeführt zu werden (ver.di Befragung 2022).

Grundsätzlich ist anzuerkennen, dass nicht alle Auszubildenden die gleichen Erfahrungen machen, jedoch legen junge Menschen vermehrt Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance und Nachhaltigkeit, insbesondere bei Lebensmitteln und Produkten. Flexibilität und klare Kommunikation stehen dabei im Mittelpunkt. Es ist von großer Bedeutung, zu berücksichtigen, dass Auszubildende und zukünftige Mitarbeiterinnen wählerisch sein können, wenn es darum geht, wo sie arbeiten oder ihre Ausbildung absolvieren. Die Verwendung von Auszubildenden als Ersatz für Mitarbeiterinnen ist inakzeptabel und demotivierend. Eine gute Praxisbegleitung und die Stärkung ihrer eigenen Kompetenz sind entscheidend, um ihre Zufriedenheit und Motivation zu fördern.

Welche Instrumente kann ich als Führungskraft im Kontext digitaler Führung heranziehen?

Miriam Moser: Es gibt eine Vielzahl von Instrumenten, die Führungskräfte im Gesundheitswesen unterstützen können. Hier sind drei, die ich als besonders wichtig erachte:

1. Qualitäts- und Risikotools: Tools wie das CIRS (Critical Incident Reporting System) werden zunehmend in digitaler Form eingesetzt. CIRSmedical ist ein solches Berichts- und Lernsystem, das im österreichischen Gesundheitswesen unerwünschte Ereignisse in der Medizin erfasst. Die Leitung kann von solchen Tools profitieren, indem sie die Fehlerkultur im Unternehmen stärkt, positive Beispiele hervorhebt und die Motivation zur kontinuierlichen Verbesserung fördert.

2. Huddle Boards im Lean Management: Huddle Boards verschaffen allen Beteiligten einen besseren Überblick über den aktuellen Stand, sei es in digitaler oder analoger Form. Durch die Visualisierung von Informationen können Engpässe und Fortschritte leichter erkannt werden. Dies trägt dazu bei, dass Patientinnen und Patienten besser informiert sind und Prozesse effizienter ablaufen.

3. Weiterbildungstools und Lernplattformen: Sowohl analoge als auch digitale Weiterbildungstools sind für Führungskräfte und Mitarbeitende von Vorteil. Je flexibler und auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten diese gestaltet sind, desto besser. Dieses Wissen kann dann im Unternehmen genutzt werden, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern und das Miteinander zu fördern.

Welche Kompetenzen benötigen „Digital Leader“ im Gesundheitswesen zukünftig?

Miriam Moser: Digital Leader im Gesundheitswesen müssen eine Vielzahl von Kompetenzen besitzen, um den digitalen Wandel erfolgreich zu lenken. Dazu gehört zunächst ein tiefgreifendes Verständnis für digitale Technologien und Prozesse, damit sie innovative Lösungen strategisch einsetzen können. Des Weiteren müssen sie über ausgeprägte Managementfähigkeiten verfügen, um komplexe Projekte zu planen, zu koordinieren und Teams effektiv zu führen. Eine klare und transparente Kommunikation ist ebenfalls entscheidend, um Mitarbeitende und andere Stakeholder über den digitalen Wandel zu informieren und einzubeziehen. Darüber hinaus ist eine hohe Lernbereitschaft und die Offenheit für Neues unerlässlich, da sich die Technologien und Anforderungen ständig weiterentwickeln. Zuletzt ist es wichtig, dass Unternehmen ihre Führungskräfte aktiv unterstützen, indem sie Zugang zu Schulungen und Coachingangeboten bieten und sie stärker in Entscheidungsprozesse einbinden. Insgesamt ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Führungskräften, Mitarbeitenden und anderen Stakeholdern entscheidend, um den digitalen Wandel im Gesundheitswesen erfolgreich zu gestalten.

Vielen Dank für das Gespräch!