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Ge­schäfts­mo­del­le auf dem Prüf­stand

01.05.2020, Dia­lo­ge :

Was macht die Coronakrise mit Unternehmen, welche Auswirkungen hat COVID19 auf Geschäftsmodelle und Digitalisierungsprozesse?
Wir haben mit Professor Dr. Daniel Schallmo, Professor für Digitale Transformation und Entrepreneurship, über Perspektiven der Unternehmensdigitalisierung, agile Zusammenarbeit im Homeoffice und Führungsstrategien in der Krise gesprochen.

Ge­sprächs­part­ner 

Prof. Dr. Daniel Schallmo ist Professor für Digitale Transformation und Entrepreneurship an der Fakultät Informationsmanagement der HNU.

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Die Coronakrise zeigt uns nicht zuletzt auch, wie wichtig Digitalisierung und die Nutzung digitaler Medien sind. Wie ist Ihre Einschätzung: Kann diese Krise grundsätzlich eine Art Weckruf oder Katalysator für die Digitalisierung in Deutschland sein?

Prof. Dr. Daniel Schallmo: Das ist eine interessante Frage. Grundsätzlich halte ich die Corona-Pandemie und die damit verbundene Krise für dramatisch, wenn man an die weltweiten Opferzahlen denkt. Wer allerdings das chinesische Wort für „Krise“ kennt, weiß auch, dass eine weitere Bedeutung „Chance“ ist. In jeder Krise steckt also auch eine Chance. Und das sehe ich aktuell ganz deutlich.

Die Entwicklung, die wir in den letzten Wochen im digitalen Kontext beobachten, konnten wir in den letzten Jahren kaum sehen. Für viele Menschen waren das Arbeiten von Zuhause aus und die Kommunikation über Videotelefonie eher fremd. Ferner lag auch oftmals nicht die Infrastruktur in Form von Headsets, Kameras etc. vor.

Und im Ihre Frage zu beantworten: Ein klares „Ja“ - die Coronakrise ist Weckruf und Katalysator zugleich: ein allgemeiner Weckruf, der zeigt, wie empfindlich und angreifbar wir sind; ein Weckruf im digitalen Kontext, der zeigt, dass wir z.B. bezüglich Ausstattung, Akzeptanz und Nutzung digitaler Potenziale einen Nachholbedarf haben. Ferner sehe ich die Coronakrise auch als Katalysator, da sich zumindest aktuell das Mindset verändert hat. Unternehmen und Institutionen haben sich z.B. in sehr kurzer Zeit auf die neuen Umstände eingestellt.

Prof. Dr. Daniel Schallmo

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Im Moment lässt sich viel Aktionismus beobachten: Unternehmen werden nach dem Motto „Not macht erfinderisch“ kurzfristig kreativ, setzen auf Videokonferenzen, Online-Marketing, virtuelle Einkaufsmeilen, On-Demand-Lieferungen und vieles mehr. Haben diese Veränderungen und Innovationen nur in der Krise Bestand – oder gibt es Trends, von denen Sie eine langfristige Konsolidierung in der Post-Corona-Zeit erwarten?

Prof. Dr. Daniel Schallmo: Ich denke, dass das oben erwähnte veränderte Mindset und die höhere Akzeptanz und Nutzung digitaler Medien uns aktuell zeigen, was alles möglich ist, und auch, welche Vorteile im Rahmen der Nutzung vorliegen.

In einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung aus dem Jahr 2018 benötigten 26,8 % aller Erwerbstätigen (rund 11 Mio. Menschen) länger als eine halbe Stunde zur Arbeitsstelle. Denken Sie nur an die volkswirtschaftlichen und ökologischen Schäden, die daraus entstehen. Aktuell ist die Zahl der aktiven Pendler wesentlich geringer, da die Potenziale von digitalen Medien verstärkt genutzt werden (müssen). Die Frage ist allerdings, wieviel wir davon in die Zeit nach Corona übernehmen werden.

Bezogen auf Innovationen im Hinblick auf die Marketingkommunikation und den Vertrieb gibt es sicherlich einige aktuelle gute Beispiele, wie Unternehmen damit umgehen. Ob, wieviel und wie diese Innovationen in die Zeit nach Corona übertragen werden, hängt grundsätzlich von vielen Faktoren ab, die wie bei jeder Innovation auch gelten. Dazu gehört zunächst die Akzeptanz der Kunden. Sind diese bereit, „Krisen-Innovationen“ auch im Nachhinein zu nutzen, oder bevorzugen sie den „altbewährten“ Weg? Ein weiterer Faktor ist auch das Verhalten von Mitbewerbern. Bieten diese die „Krisen-Innovationen“ in einer ausgereifteren Form und günstiger an als „altbewährte“ Lösungen, so kann dies ein Grund für eine breitere Akzeptanz und somit Nutzung sein. Letztlich hängt es von dem jeweiligen Produkt und der Dienstleistung ab. Ein YouTube-Tutorial, wie man seine Haare schneidet, ersetzt keinen Friseurbesuch. Ein Verkaufsgespräch zu Sportschuhen kann allerdings sowohl persönlich als auch virtuell stattfinden.

Den oft genannten Grundsatz: „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden“ möchte ich anpassen in „Alles, was in der Coronakrise digitalisiert wurde, bleibt auch digitalisiert, sofern es der Kunde fordert“.

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Einigen Unternehmen scheint die krisenbedingte Umstellung auf andere Geschäftsmodelle leichter gefallen zu sein als anderen. Wie können Unternehmen vorgehen, um ihr Geschäftsmodell in der Krise anzupassen?

Prof. Dr. Daniel Schallmo: Zunächst einmal gilt es, nicht in reinen Aktionismus zu geraten, sondern einen kühlen Kopf zu bewahren. Ich empfehle daher ein klar strukturiertes Vorgehen, das aus vier Phasen mit Leitfragen besteht.

  1. Bestandsaufnahme: Wie gestaltet sich unser aktuelles Geschäftsmodell? Hierbei wird das Geschäftsmodell eines Unternehmens mit Kunden, Leistungen, der Wertschöpfung, den Partnern und den Finanzen skizziert.
  2. Gefahrenanalyse: Welche Elemente unseres Geschäftsmodells sind von der Corona-Krise bedroht? Hierbei werden konkret die Risiken für das eigene Geschäftsmodell aufgeführt und bewertet.
  3. Ideenableitung: Welche Ideen haben wir, um unser Geschäftsmodell anzupassen? Hierbei geht es um konkrete Chancen, die aktuell genutzt werden können, um den Risiken entgegenzuwirken.
  4. Umsetzung und stetige Anpassung: Welche Ideen können wir schnell umsetzen, testen und bei Bedarf anpassen? Dies ist der Umsetzungsteil, in dem es auch darum geht, Ideen und Konzepte auszuprobieren und bei Bedarf nachzujustieren.

Diese Vorgehensweise kann Unternehmen helfen, strukturiert Ideen für die Anpassung des eigenen Geschäftsmodells abzuleiten und diese umzusetzen.

Mit den neuen Formen der Zusammenarbeit und mit veränderten Routinen geht auch eine hohe Unsicherheit einher

Prof. Dr. Daniel Schallmo 

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Das Team-Meeting via Video, der Jour Fixe im Unternehmens-Chat: Die tägliche Arbeitswelt etlicher Mitarbeiter beschränkt sich derzeit auf die eigenen vier Wände. Was bedeutet das für die Zusammenarbeit in Unternehmen, insbesondere in denjenigen, in denen die Kooperationsstrukturen bislang vielleicht nur unzulänglich digitalisiert waren?

Prof. Dr. Daniel Schallmo: Die aktuelle Situation stellt jeden von uns vor besondere Herausforderungen; dennoch bin ich über die neu etablierten Routinen positiv überrascht. In der ersten Woche der Ausgangsbeschränkungen konnte man eine Art Schockstarre und Unsicherheit aufgrund der nie dagewesenen Situation beobachten. In der zweiten Woche wurden neue Formen und Medien der Zusammenarbeit eruiert und ausprobiert. Und ab der dritten Woche wurden bestehende Routinen angepasst und neue etabliert.

Mit den neuen Formen der Zusammenarbeit und mit veränderten Routinen geht auch eine hohe Unsicherheit einher. Mitarbeiter fragen sich, ob ihr Arbeitsplatz sicher ist, wie und wann es weitergeht etc. Dies erfordert von Führungskräften und ihren Mitarbeitern, ein Mindestmaß an Stabilität und Routine zu vermitteln und vor allem Nähe (wenn auch nur virtuell) zu ermöglichen. Das bedeutet, erreichbar zu sein und regelmäßig (z.B. einmal am Tag) mit dem gesamten Team bzw. mit einem Mitarbeiter zu kommunizieren. Ferner gilt es, Mitarbeitern zu vertrauen und Verantwortung abzugeben.

Seitens der Mitarbeiter ist es wichtig, die übertragene Verantwortung anzunehmen und sich selbst zu organisieren und somit ihren eigenen Weg zu definieren.  Für beide, Mitarbeiter wie Führungskräfte, gilt es, Absprachen zu treffen, gemeinsam Ziele zu definieren und verfügbar zu sein.

Die aufgeführten Punkte sind nicht neu, sondern gehören zu den Charakteristika agiler Organisationen. Zu diesen Charakteristika gehören z.B. auch in Netzwerken organisierten Teams, flache Hierarchien, schnelle Entscheidungswege und eine Leistungsorientierung. Unternehmen, die schon länger eine agile Organisation haben und eine agile Arbeitsweise praktizieren, haben also einen klaren Vorteil.

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Was zeichnet eine starke Führungskraft in dieser Zeit aus?

Prof. Dr. Daniel Schallmo: Meiner Ansicht nach gibt es ein paar wichtige Punkte, die eine starke Führungskraft in der aktuellen Situation besonders charakterisieren. Zunächst einmal geht es um Kommunikationsfähigkeit, also darum, Feedback zu geben, zuzuhören, verfügbar zu sein und auf Augenhöhe zu kommunizieren. Gerade bei der Führung auf Distanz ist die Orientierung am Menschen genauso wichtig wie in einer normalen Situation. Das bedeutet, dem Mitarbeiter genau wie in normalen Situationen Wertschätzung und Respekt entgegenzubringen und eine reichhaltige Beziehung zu pflegen. Dazu gehört auch, die Mitarbeiter auf vertrauensvolle Art zu führen.

Entscheidungen sollten, sofern dies möglich ist, im Team und schnell abgestimmt werden, um dadurch ein zielbewusstes Handeln zu ermöglichen. Dies setzt auch Transparenz voraus, was einen freien Zugang zu internen Informationen erfordert.

Bezogen auf die Medienkompetenz sollten Führungskräfte als Vorbilder fungieren und technische Kommunikationsmedien beherrschen bzw. offen für diese Medien sein und entsprechende Strukturen schaffen. Ein weiteres Charakteristikum ist die Priorisierung, d.h., einen klaren Fokus und Akzente setzen und die Tätigkeiten an der Notwendigkeit für das Unternehmen ausrichten. Als letztes gilt es, allen Mitarbeitern die Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns greifbar zu machen und diese zu vermitteln.